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Erschienen in: Ausgabe #2 vom Januar 2004


von Tobias Prüwer

Philosophie anderswo: Abderdeen, Schottland

Getting to Scotland - Über das Studieren in Schottland aus dem Gesichtsfeld der Universität Aberdeen und wie man dorthin kommt.


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Universität in Aberdeen bei gutem Wetter


Es müssen nicht die Spuren von Hume und Smith sein, die zum Studium in Schottland verleiten. Da locken das schroff-freundliche Wesen der Schotten, karges Hügelland und die Fülle historischer Stätten, genauso wie der Reiz nichttouristischer Perspektiven, das Abenteuer eines anderen Studiensystems und der Versuch, durch Distanz Nähe zu Altvertrautem zu gewinnen.


Der schottische Durchschnittsstudierende ist jünger als bei uns. Daher sollten Besuchende unernster Lebensart aufgeschlossen sein. Es wird gern und viel getrunken, auch wenn die Tradition des Whisky-Genusses auszusterben droht und durch Mixgetränke verdrängt wird. Gerade weil die Kriminalitätsrate gering ist, haben die schottischen Offiziellen Angst vor Raub und Mord. Diese wird lediglich überragt von der Phobie vor Feuer. Deshalb ist der gesamte universitäre Raum eine Pinwand, gespickt mit Warnungen, Fluchthinweisen und praktischen Übungen. Die gewählte Studierendenvertretung ist kommerziell orientiert und richtet ihr exklusives Tun an Partygestaltung aus. Bunt ist die Palette studentischer AG’s und reicht von der albernen Cheese Society bis zu politischen Gruppen. Die üppig ausgestattete Bibliothek folgt einem seltsamen Ordnungssystem. So ziert das Oeuvre Nietzsches die Abteilung für deutsche Literatur, samt Interpretationen großer „Sprachwissenschaftler“ wie Jaspers und Heidegger.


Obwohl in Studiensystemen verschieden, gibt es auch einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Philosophiestudium in Aberdeen und Leipzig. Die Hälfte der angekündigten Kurse entfiel, drei Stellen liefen aus und selbstverständlich beginnt keine Veranstaltung vor 9 Uhr. Die ungewohnt geringe Zahl von Seminarteilnehmern ist angenehm aber wenig nützlich, da die Diskussionsteilnahme nicht rege ist. Ein Frage-und-Antwort-Spiel wie zwischen Lehrer und Schüler ersetzt akademische Diskursivität. Einige der Dozierenden drehen ihre Runden in festen Bahnen und wissen mit Anmerkungen und Nebenschauplätzen nicht umzugehen. Dies ist sicher dem Umstand geschuldet, dass sie jedes Jahr aufs Neue das Alte lehren. Der Studienplan ist inhaltlich fixiert und als ewige Wiederkehr gestaltet. Dieses modulare System kann ein vortreffliches Studienobjekt über Verschulung und ein Grund mehr gegen nicht durchdachte BA-MA-Einführung sein. Dafür lassen mäßige Anforderungen Raum und Zeit für Entdeckungen und Selbststudium. Natürlich ist dem urdeutschen Phlegma auch in Aberdeen nicht zu entkommen. Schließlich ist Schottland kein Geheimtipp mehr und wird auch von Miesepetern besucht, denen die Riviera heimeliger wäre. Trotzdem wird sich für diejenigen, welche wirklich verliebt sind in Alba, der Schottlandaufenthalt gewiß lohnen. Für selbige seien einige Hinweise angefügt.


Jeder erfolgreiche Auslandsaufenthalt beginnt mit frühen Mühen. Rund ein Jahr Vorlauf sind erforderlich. Informationen und generelle Hilfe zum Schottlandstudium leisten das Akademische Auslandsamt (AAA – www.uni-leipzig.de/akadem/) in der Goethestraße 6 und British Council im GWZ (www.britishcouncil.de). Eine Übersicht aller britischen Hochschulen und ihren Studiengängen enthält die Seite www.ucas.ac.uk. Ein halbes akademisches Jahr zu bleiben, macht wenig Sinn, weil man dann gleich ab Weihnachten zu Hause bleiben kann. Die bekannte Trimmester-Einteilung ist ein altes Relikt, das nur mehr dem Namen nach besteht und es gibt faktisch Semester. Zugang an eine schottische Hochschule findet man über ein Austauschprogramm oder durch Selbstbewerbung. Als Programmitglied gilt es vergleichsweise wenig Aufwand zu bewältigen; ist man erst einmal aufgenommen worden. Die finanzielle Unterstützung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ist nicht gering, weshalb die Asymmetrie zwischen AspirantInnen und Studienplätzen groß ist.


Jeweils im September ist die Bewerbungsfrist für das kommende akademische Jahr. Frau Moros im AAA hilft bei der Bewerbung. Für das EU-Programm ERASMUS vergibt das Institut für Philosophie selbst keine Schottland-Plätze. Der Versuch über andere Institute (zum Beispiel Aberdeen bei KuWi & Germanistik) kann lohnend sein, da sich an schottischen Hochschulen die Veranstaltungen ohnehin fächerübergreifend belegen lassen. Die Homepage des AAA weist Institute aus, welche mit der gewünschten Destination verbunden sind. Die Förderung durch ein Austauschprogramm beeinflußt den Anspruch auf BAföG und sollte daher bedacht werden. Zwar tragen Programme die Zahlung der Studiengebühr von derzeit 1150 Pfund, selten aber reicht die Förderung zur (Über-) Lebensfinanzierung. Die zunächst selbst vorgestreckte Gebühr erstattet das BAföG-Amt oftmals zurück, wenn auch nur auf Raten über das Jahr verteilt. Weiterhin übernimmt die Behörde die preiswerteste Hin- und Rückreise (Eurolines) und zahlt eventuell einen Mietzuschuß. Die üblichen Formblätter müssen um einiges ergänzt werden, weswegen auch hier früh begonnen werden sollte. Die für Großbritannien zuständige Behörde ist die Bezirksregierung Köln, die aus welchen Gründen auch immer in Aachen sitzt (www.bezreg-koeln.nrw.de). Das Absageschreiben der Student Awards Agency for Scotland (SAAS – www.student-support-saas.gov.uk) zu erhalten, welches man für die Rückerstattung der Studiengebühr benötigt, ist eine besonders knifflige Übung. Da diese Behörde seit einiger Zeit nicht mehr für deutsche Bewerber zuständig ist, erhält man auf schriftliche Anfragen keine Antwort. Daher empfiehlt sich gleich der Griff zum Telephon und die erste Übung in Sprachpraxis. Sprachtests sind für das Auslandstudium nicht obligatorisch, meist reicht ein Verweis auf das Abiturfach. Jedenfalls sollten die teuren Tests erst absolviert werden, wenn diese ausdrücklich verlangt werden. Die hohe Wohnheimmiete ist im Vorfeld für einen ganzen Term zu entrichten. Vielleicht schließt man den Vertrag nicht für das ganze Jahr ab und kann sich nach einer preiswerteren Bleibe umschauen.


Die Studienschwerpunkte variieren je nach Hochschule. Das Vorurteil, in Großbritannien würde ausschließlich analytisch Philosophie gelehrt, hat sich nicht bestätigt. Grundsätzlich ist das Studium verschult und sehr klausurenlastig. Zu erbringende Kurzessays im Umfang von 2000 Worten machen Spannungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit offenkundig. Die Anforderungen lesen sich wie in Leipzig. Allerdings scheint es unmöglich, eine starke These mit Hilfe breiter Literaturkenntnis durch strukturierte Argumentation in solcher Kürze zu verteidigen. Vielleicht könnte die divergierende Bedeutung des Begriffs „These“ im deutschen und englischen Wissenschaftsbetrieb ein lohnendes Magisterarbeitsthema sein. Daher empfiehlt es sich, nur die Kurse der Jahre drei und vier zu besuchen. Hilfreich für die Aufnahme in diese sind kopierte Leistungsscheine und das Zwischenprüfungszeugnis.


Habt Ihr immer ein Paßbild dabei, denkt an Euro-Stecker und besitzt kein Internetpaßwort mit Umlauten (und habt den Nachschub an Tabakprodukten arrangiert), dann seid Ihr gerüstet. Seid Eure Möglichkeiten in einem Land mit Ecken und Kanten. Möglicherweise bleibt dann auch ein Jahrtausende währender Trinkhabitus erhalten. Slainte, tobs.