Interview mit Henning Tegtmeyer
EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie dazu bewogen Philosophie 
              zu studieren?
TEGTMEYER: Zunächst einmal gab es jemanden, der mich bewogen 
              hat, nicht Philosophie 
zu studieren. Das war Schopenhauer. Mit 18 
              habe ich zufällig eine leicht gekürzte Ausgabe der 
Welt 
              als Wille und Vorstellung bekommen und gelesen. Den größten 
              Teil des 
Buches fand ich dann so abstoßend, dass ich mit Philosophie 
              nie wieder etwas zu tun haben wollte. Ich 
unterstellte stillschweigend, 
              dass alle Philosophen so denken und schreiben wie Schopenhauer – 
   
           oder noch schlimmer. Das hat sich erst geändert, als ich im 
              Verlauf meines 
Germanistikstudiums mit Kants Kritik der Urteilskraft 
              und mit Foucault zu tun bekam. Das Philosophiestudium 
habe ich deshalb 
              auch erst mit 24 angefangen. 

Henning Tegtmeyer
EiGENSiNN: Wie lautete das Thema Ihrer Magisterarbeit?
TEGTMEYER: 
Gegenstandsbereich und Geltungsanspruch ästhetischer 
              Urteile. Das war ein Thema, das mich letztlich 
schon vor meinem 
              Studium beschäftigt hat, auch wenn ich es damals noch nicht 
              
hätte formulieren können. Es beschäftigt mich auch 
              weiterhin. Die Magisterarbeit war da nur 
ein Durchgangsstadium.
EiGENSiNN: Was hat Sie dazu bewogen, sich für den Fachbereich 
     
         Theoretische Philosophie zu entscheiden?
TEGTMEYER: Eigentlich entschieden habe ich mich 
gar nicht für 
              diesen Fachbereich, sondern eine Verkettung bestimmter Umstände 
              
und Zufälle hat mich dorthin befördert. Das hat auch etwas 
              mit der unklaren Stellung der 
Ästhetik als philosophischer 
              Disziplin zu tun, die ja irgendwo zwischen theoretischer und praktischer 
              Philosophie angesiedelt ist. Das macht die Ästhetik zugleich 
              so spannend, dass hier 
'theoretische‘, also sprachphilosophische 
              oder ontologische Fragen genauso bedeutsam werden wie 
‚praktische‘, 
              also kulturphilosophische, werttheoretische und selbst ethische 
              
Fragen. Mindestens ebenso kompliziert wie das Verhältnis der 
              Ästhetik zu den anderen 
philosophischen Disziplinen sind die 
              Beziehungen zwischen Ästhetik einerseits und den Kunst-, Musik- 
              und Literaturwissenschaften andererseits. Selbst zur Theologie steht 
              die Ästhetik in 
einer gewissen Beziehung, auch wenn das etwas 
              extravagant klingt. Um die Dinge noch mehr zu komplizieren: 
In der 
              Ästhetik selbst wird noch immer darum gestritten, was Hauptgegenstand 
              der 
Ästhetik ist. Ist es eher das Wahrnehmen oder eher das 
              Schöne oder vielmehr die Kunst? Oder ist 
Ästhetik eine 
              besondere Spielart philosophischer Selbstkritik? Dass all dies Themen 
              
und Probleme der Ästhetik sind, ist unbestritten; der Streit 
              dreht sich darum, was im Zentrum stehen 
muss. Ferner geht es um 
              Fragen der richtigen Methode. Da es in der theoretischen Philosophie 
           
   immer auch darum geht, einen gewissen Überblick über das 
              gesamte Feld philosophischer 
Disziplinen zu bewahren, fühle 
              ich mich dort aber ganz gut aufgehoben.
EiGENSiNN: Nach welcher Ästhetik des Lebens richten Sie sich?
TEGTMEYER: 
Nach gar keiner. Ich weiß nämlich gar nicht, 
              was das ist.
EiGENSiNN: 
Wie würden Sie die heutige Stellung und Aufgabe 
              der Philosophie in Deutschland bezeichnen?
TEGTMEYER: Die Philosophie hat ähnliche Probleme wie die meisten 
              
Geisteswissenschaften, nicht nur in Deutschland. Leider sind das 
              zu einem großen Teil auch Probleme 
des Selbstverständnisses. 
              Zwar arbeitet die Philosophie, soweit ich das überblicke, nicht 
    
          im gleichen Maß an ihrer Selbstabschaffung wie manche andere 
              Geisteswissenschaft. Dennoch 
gibt es eine zähe und lang anhaltende 
              Krise im Selbstverständnis der Philosophie. Wenn man einen 
              sehr freundlichen Namen dafür finden wollte, könnte man 
              das Selbstbild der 
Philosophie als ‚allzu bescheiden‘ 
              bezeichnen – oder als depressiv. Viele, auch 
einflussreiche 
              Philosophen glauben nicht mehr so recht an Bedeutsamkeit und Leistungsfähigkeit 
    
          der Philosophie. Sachlich gesehen gibt es überhaupt keinen 
              Grund für derartig 
grundlegende Selbstzweifel. Philosophie 
              ist und bleibt die Mutter der Wissenschaften und zugleich ihre 
koordinierende 
              und kritische Begleiterin. Als solche ist sie so lange unverzichtbar, 
              wie 
es überhaupt Wissenschaft gibt. Ist die Philosophie in 
              schlechter Verfassung, bedeutet das immer auch 
eine Krise der Wissenschaften. 
              In einer solchen befinden wir uns wohl derzeit. Dazu mag die institutionelle 
              Abschottung der Wissenschaften gegeneinander mit beigetragen haben. 
              
Interdisziplinarität ist zwar der Idee nach ein Korrektiv. 
              Die Fragen, Probleme und Resultate kommen 
aber, soweit ich das beurteilen 
              kann, sehr oft noch zufällig und unsystematisch zustande.
EiGENSiNN: Wie stehen Sie zu den in Bologna abgesegneten Neuerungen 
              hinsichtlich 
Ba/Ma?
TEGTMEYER: Die Zielsetzung, berufsqualifizierende Studien zu straffen, 
              zu 
beschleunigen und auf europäischer Ebene so zu vereinheitlichen, 
              dass ein Studium an verschiedenen 
europäischen Hochschulen 
              erleichtert wird, finde ich richtig. Auch dass Überlegungen 
         
     zur Studierbarkeit eines Faches jetzt einen hohen Stellenwert bekommen 
              sollen, ist aus meiner Sicht zu 
begrüßen. Studierende 
              der Geisteswissenschaften werden davon profitieren, dass sie schneller 
              als bisher zu einem Hochschulabschluss gelangen können und 
              dass dieser Abschluss 
dann auch bekannt ist und anerkannt wird. 
              Was die Reformen für die Ausbildung des wissenschaftlichen 
              Nachwuchses bedeuten, wird zur Zeit noch zu wenig diskutiert, aber 
              das wird sich 
ändern, wenn die Beteiligten sich wieder daran 
              erinnern, dass an Universitäten nicht nur gelehrt, 
sondern 
              auch geforscht wird. Die Probleme stecken in der Durchführung 
              der guten 
Idee. Das beginnt mit den Schlüsselqualifikationen. 
              Was sich manche Politiker darunter vorstellen, ist 
einfach grotesk. 
              Sicher täte es einigen hochspezialisierten Studiengängen 
              ganz 
gut, wenn es dort ein Korrektiv gäbe, wenn dort allgemeinere 
              methodische Kompetenzen auch noch gefragt 
und gepflegt würden. 
              Aber eher generalistische Fächer wie die Philosophie haben 
              
dieses Problem gar nicht. Eigentlich ist ja Philosophie die Schlüsselqualifikation 
              schlechthin, 
zumindest für wissenschaftliche und wissenschaftsnahe 
              Berufe. Uns HTML- oder Powerpoint-Kurse als 
Schlüsselqualifikation 
              aufdrängen zu wollen ist einfach nur lächerlich. Auch 
            
  sonst sehe ich noch zu viele Zielvorstellungen der verschiedenen 
              Akteure, die nicht gut zueinander 
passen. Da sollen die Studierenden 
              zu Flexibilität und Mobilität ermuntert oder sogar angehalten 
              werden. Gleichzeitig träumen manche Planer von ganz neuen, 
              innovativen‘ 
Studiengängen, die man dann letztlich nur 
              an einer einzigen europäischen Hochschule studieren 
kann. Oder 
              es heißt, die Zahl der Hochschulabsolventen in Deutschland 
              solle 
erhöht und die dozentische Betreuung jedes und jeder 
              Studierenden intensiviert werden. Gleichzeitig 
sollen die Bildungs- 
              und Wissenschaftsetats durch Studienreformen entlastet und gesenkt 
              
werden. Durch welches Wunder sollen denn diese drei Dinge zugleich 
              möglich sein? Man spricht davon, 
dass Studierende 'endlich‘ 
              an den Kosten ihres Studiums beteiligt werden müssten, 
übersieht 
              aber, dass viele Studierende u.a. deshalb so lange studieren, weil 
              sie 
gezwungen sind, sich ihren Lebensunterhalt zum Teil selbst zu 
              verdienen. Schon jetzt gibt es hier eine 
Kluft zwischen Arm und 
              Reich, nämlich zwischen Bafög-Empfängern, die wegen 
              
der nach wie vor niedrigen Sätze neben dem Studium arbeiten 
              müssen und obendrein nach dem Studium 
viel Geld an den Staat 
              zurückzahlen müssen, und solchen, die auf Bafög nicht 
            
  angewiesen sind oder sich ihr Studium selbst verdienen, obwohl sie 
              einen Anspruch auf Bafög 
hätten. An derartige Zustände 
              haben wir uns so gewöhnt, dass darüber gar nicht mehr 
              diskutiert wird. Es macht mich ziemlich nervös, wenn ich Bildungspolitiker 
              sagen 
höre, dass die Einführung von Studiengebühren 
              gar kein Problem sei, weil Stipendien dann 
soziale Härten ausgleichen 
              würden. Fallen die Stipendien denn vom Himmel? De facto gehen 
     
         wir da den Weg der schleichenden Privatisierung der deutschen Hochschulen, 
              ohne dass auch nur 
diskutiert wird, was das bedeutet. Das alles 
              hat mit dem Bologna-Prozess unmittelbar nichts zu tun. Aber es 
sind 
              Rahmenbedingungen, die uns alle dazu anhalten, auf unangenehme Nebeneffekte 
              
bestimmter Reformen gefasst zu sein. 
Wir Danken Herrn Tegetmeyer fü die Beantwortung 
unserer Fragen.
Henning Tegtmeyer ist Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter 
am Lehrstuhl für theoretische Philosophie an der Universität Leipzig