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Erschienen in: Ausgabe #5 vom Januar 2006


von Robert Faber

Gemeinschaft der Toten

Den Stellenwert und die Struktur einer Gemeinschaft erkennt man daran, wie sie mit dem umgeht, was außerhalb von ihr liegt. Wie kommuniziert sie mit dem Außen? Welcher Platz wird dem Außen zugewiesen, wenn es darum geht, es zu benennen und so greifbar zu machen? Wie werden Konflikte mit dem Außen ausgetragen? Inwiefern wird das Außen benötigt, um eine Gemeinschaft in ihrem Inneren zu festigen, festzulegen und möglicherweise sogar erst entstehen zu lassen? Es sollte dabei betrachtet werden, wie dieses Außen konstruiert wird und welche wechselseitigen Beziehungen der Gemeinschaft mit ihrem Außen sich dabei herausbilden.

Wir sollten nach einer möglichst elementaren Form von Gemeinschaft suchen. Gemeinschaft nimmt immer differenziertere Ausprägungen an, Gemeinschaften müssen längst nicht mehr beisammen sein, ihre Mitglieder müssen sich nicht gegenseitig erkennen können, oft überschreiten Gemeinschaften die Grenzen von Nationen: Gemeinschaften der Nicknames anonymer Chat-Räume; die Fernsehzuschauer, die in dem Moment zur Gemeinschaft werden, wenn sie „Wetten, daß“ einschalten; die Gemeinschaft der individuellen Konsumprofile, der Arbeitenden und der Essenden... Müßten wir diese Gemeinschaften auf eine Gemeinschaft zurückführen, so könnten wir nur etwas Basales finden – es handelt sich um eine Gemeinschaft der Lebenden.

Für eine Gemeinschaft der Lebenden kann es nur ein Außen geben – die Toten. Elias Canetti beschreibt diese Konstellation in „Masse und Macht“ als eine Form von Doppelmasse. Die Lebenden führen einen Kampf auf verlorenem Posten, die Armee der Toten ist immer in der Überzahl, sie versucht, die Lebenden auf ihre Seite zu holen. Die Toten stellen eine konstante Bedrohung dar, sie können in jedem Moment angreifen und die Lebenden schwächen. Die Gemeinschaft der Lebenden ist auf diese ungleich mächtigere Masse der Toten angewiesen, weswegen es von enormer Bedeutung ist, sich die Toten günstig zu stimmen:

„Sie haben Einfluß auf die Lebenden und können ihnen überall schaden. Bei manchen Völkern ist die Masse der Toten ein Reservoir, dem die Seelen der Neugeborenen entnommen werden. Von ihnen hängt es ab, ob die Frauen Kinder bekommen. Manchmal fahren die Geister als Wolken daher und bringen den Regen. Sie können einem die Pflanzen und Tiere vorenthalten, von denen man sich nährt. Sie können sich unter den Lebenden neue Opfer holen. Der eigene Tote, den man nur nach hartem Widerstand hergegeben hat, wird schon als Angehöriger dieses gewaltigen Heeres drüben beschwichtigt“[1]

Ob als Bedrohung oder als wohlgesonnene Geister, die Toten werden nicht als ein abstraktes Außen betrachtet, sondern als eine reale (Über-)Macht mit eigenem Willen. Die Gemeinschaft der Lebenden konstituiert sich im Hinblick auf die Toten, richtet ihre Riten und Bräuche nach dem Willen der Toten ein und findet Wege zu einer beschwichtigenden Kommunikation. Zwar sind die Massen der Toten unsichtbar, jedoch füllen sie sämtlichen Lebensraum, sie sind dicht beieinander, in Bewegung und wollen gemeinsame Sache machen.

Mitten in diese Hilflosigkeit den Toten gegenüber tritt eine Gegenbewegung der Lebenden: Es gibt Lebende, die die Fähigkeit besitzen, den Willen der Toten zu erkennen und mitzuteilen – es handelt sich um Schamanen. Die Schamanen sind es auch, die die Domestizierung der Toten vornehmen.[2] Sie sind nicht nur in der Lage Geister zu beschwören, sie sind darüber hinaus in der Lage, die Geister ihrem Willen zu unterwerfen. Die Domestizierung der Toten ist ein Einschnitt ins Verhältnis der beiden Parteien, ein Schritt vom mythischen Denken zur wissenschaftlichen Zivilisation wie wir sie heute kennen, da die Schamanen es auf ihre Weise schaffen, die unsichtbaren Massen sichtbar und begreifbar zu machen. Die Masse wird somit gesprengt, da der Schamane nie die gesamte Masse ansprechen kann, sondern aus dieser anonymen Gesamtheit Elemente herausheben, abziehen muß - bis hin zu einzelnen Geistern mit einer Identität (etwa den Geist eines kürzlich Verstorbenen). Eine Grundvoraussetzung für die Masse ist die Anonymität des Einzelnen darin, sein vollkommenes Aufgehen in ihr als Teil des uneingeschränkt wachsenden Ganzen. Sobald die Masse in einzelne Bestandteile zerlegt werden kann, setzt ihr unaufhörlicher Zerfall ein. Die einzige Möglichkeit für sie, diesen Zerfall abzuwenden, ist die Verwandlung. Sie muß sich in Etwas von Dauer verwandeln und eine feste Struktur annehmen, in deren Rahmen eine Entwicklung, ein Werden möglich ist. Aus einer Masse muß eine Gemeinschaft werden.

Zobmies

Die unsichtbare Masse, die im mythischen Denken von den Toten gebildet wird, verschwindet nicht, sondern wird im Verlauf des Zivilisierungsprozesses umgewandelt und verstreut. So erwähnt Canetti die für das Mittelalter relevanten Massen der Teufel, denen die himmlischen Heerscharen gegenübergestellt werden. Zum schamanischen Hilfsmittel der wissenschaftlichen Neuzeit wurde das Mikroskop, welches uns zwei neue Arten unsichtbarer Massen aufzeigte – die sich rapid vermehrenden und für die Lebenden schädlichen Bazillen und die Millionen von Spermateilchen, die sich, so Canetti, in größter Dichte auf den selben Weg machen (und somit die Kriterien einer Masse erfüllen) und die unsichtbare Masse der Ahnen mit sich tragen.[3]

Die Fähigkeit, die Toten zu mobilisieren und für die eigenen Zwecke dienstbar zu machen, verändert nicht nur die Beziehung der Lebenden und der Toten, sondern auch das Selbstverständnis der Lebenden. Sie sind nicht mehr den Toten ausgeliefert, sehen sich in der Lage Widerstand zu leisten. Die Macht der Toten wird ins Leben geholt, einverleibt. Die Toten werden er- und begriffen. Es ist die Entstehung des Selbstbewußtseins, die Lebenden emanzipieren sich. Der Tod wird Teil der ökonomischen Beziehungen. Levi-Strauss unterscheidet in „Traurige Tropen“ zwei Arten der ökonomischen Beziehungen mit den Toten – die Toten als Partner und als Objekt. Als Geschäftspartner leisten die Toten Beistand bei den Unternehmungen der Lebenden und erwarten dafür Dankbarkeit, wollen am Gewinn partizipieren. Ganz anders ist die Lage bei den Toten, die als Objekte und Werkzeuge gehandelt werden:

Manche Gesellschaften nehmen gegenüber ihren Toten eine Haltung dieses Typus ein. Sie verweigern ihnen die Ruhe: zuweilen im wörtlichen Sinn, wie es wie es beim Kannibalismus und der Nekrophagie der Fall ist, wenn die Lebenden das Ziel verfolgen, sich die Tugenden und Kräfte des Verstorbenen einzuverleiben; manchmal im symbolischen Sinn wie in jenen Gesellschaften, die von Prestigerivalitäten beherrscht sind und deren Mitglieder die Toten ständig um Beistand bitten müssen, [...] um durch Beschwörung der Ahnen und genealogische Betrügereien ihre Privilegien zu rechtfertigen.[4]

Hier ist bereits die Sichtweise auf den Tod verschoben. Der Tod wird nicht mehr als Bedrohung von außen gesehen, sondern ausschließlich auf seine Gebrauchsmöglichkeiten im Leben reduziert, als ein vorgeschobenes Außen. Levi-Strauss zieht die Schlußfolgerung:

Mehr als andere fühlen sich solche Gesellschaften beunruhigt durch die Toten, die sie mißbrauchen. Sie stellen sich vor, daß diese ihnen die Verfolgung heimzahlen werden und daß sie desto anspruchsvoller und streitsüchtiger gegenüber den Lebenden sind, je mehr diese von ihnen zu profitieren suchen. Doch ob es sich nun um eine gerechte Teilung handelt wie im ersten Fall oder um eine entfesselte Spekulation wie im zweiten, so herrscht doch in beiden Fällen die Idee vor, daß es sich bei der Beziehung zwischen Toten und Lebenden nicht vermeiden läßt, zu teilen.[5]

Die Überreste dieses Denkens lassen einen tiefen Stachel im Gewissen der westlichen Zivilisation zurück, denn der Bezug der Gemeinschaft der Lebenden zum Tod veränderte sich nochmals drastisch. Konnte man sich im mythischen Denken auf die Toten berufen oder sie für seine Zwecke benutzen, so ist dies in der modernen Welt nahezu unmöglich geworden. Die Metaphysik (und somit auch der Mythos) verschwindet zwar nicht komplett aus dem Denken, so doch aus dem Gebrauch, der Sphäre der Ökonomie. Durch das Wegbrechen der traditionellen metaphysischen Instanzen offenbart sich eine veränderte Szenerie – da es keine Transzendenz mehr gibt, muß jeder Vorgang empirisch wahrnehmbar auf einer Immanenzebene ablaufen. Der Tod kann nicht mehr kollektiv erfahrbar gemacht werden, die Toten sind als Handelspartner und -objekte gleichermaßen ausgegrenzt, ausgeschieden. Sie sind ihres Platzes in der Welt beraubt, da es nur noch eine Welt ist, die den Lebenden gehört. Der Tod ist abgetrennt und jeder produktiven Verknüpfung mit dem Leben beraubt. Der Tote kann nicht in eine andere Dimension übergehen und bietet kein Potential für ein wiedergeborenes neues Leben. Der Tod ist privat und individuell – er ist schlicht der Punkt, an dem ein menschliches Leben verschwindet. Anders als bei Canetti, wo die Toten immer als eine Masse aktiv sind, ist dem individualisierten Toten die Möglichkeit genommen, zu dieser offenen, uneingeschränkt wachsenden Masse dazuzustoßen. Der Tod ist kein Außen mehr, da er aus der Totalität des Lebens heraus betrachtet wird. Diese Totalität des Lebens kann nach Jean Baudrillards Theorie des unmöglichen Tausches nicht mehr gegen ein Außen eingetauscht werden, sondern nur noch gegen ein Double ihrer selbst. Das Außen muß sich ins Innere verschieben. Die Toten bleiben im Leben und breiten sich aus in der Welt der Lebenden.

Das Bild der Toten, die durch die Welt wandeln, taucht bereits im Gilgamesch-Epos auf, als die Göttin Ischtar droht:

Gewährst du mir aber das Himmelstier nicht, | So zerschlag’ ich die Türen der Unterwelt,| Zerschmeiß ich die Pfosten, lass die Tore weit offen stehn, | Lass ich auferstehen die Toten, dass sie fressen die Lebenden, | Der Toten werden mehr sein denn der Lebendigen![6]

Hier ist schon ein Mythos angelegt, der im 20. Jahrhundert vor allem auf der großen Leinwand eine aufsehenerregende Rückkehr feierte und Kultstatus erreichte – der Zombie-Mythos. Die Ursprünge findet man in den Voodoo-Religionen der Karibik. Wikipedia klärt auf:

Dem Glauben nach kann ein Voodoo-Priester (Houngan), ein schwarzmagischer Bokor oder eine Priesterin (Mambo) einen Menschen mit einem Fluch belegen, worauf dieser dann scheinbar stirbt (Scheintod). Tage später kann er den Toten dann wieder zum Leben erwecken. Dieser wird dann als Arbeitssklave missbraucht. Diese Zombies nennt man auch Zombie cadavres. Sie gelten als absolut willenlos.
Eine verbreitete Idee ist, dass dabei ein Pulver eine wichtige Rolle spielt. Es werde gebraucht, um das Opfer in einen hirntodähnlichen Zustand zu versetzen, etwa vermischt mit Juckpulver auf die Haut des Opfers geblasen, das dann das Gift in kleinen Wunden beim Kratzen aufnimmt. Das Gift ruft schnell krankheitsähnliche Symptome hervor, das Opfer stirbt. In dem Glauben, dass dieser Mensch nun tot sei, werden die Opfer begraben. Nach einer bestimmten Zeit taucht der Zauberer am Grab auf, wo er sein Opfer ausgräbt und ihm ein Gegenmittel verabreicht. Dieses Mittel soll ein starkes Gift, etwa Atropin, sein, das dem Betroffenen bei Aufwachen seine Sinne und sein Bewusstsein raubt. Der Zombie sei dann seinem Herren hörig und verrichtet ab sofort Schwerstarbeiten.“[7]

Es handelt sich also eher um den zweiten Typus des von Levi-Strauss beschrieben Handels mit den Toten, die den Toten gegenüber keinen Respekt erweist, sie ins Leben zurückzerrt, sie unsterblich macht, um sie ausschließlich zum eigenen Zweck zu benutzen. Es ist also durchaus bezeichnend, daß die Zombies sich hauptsächlich nicht in der Literatur ausbreiten, sondern im Film. Prof. Tom Gunning von der University of Chicago reflektiert in der Dokumentation „American Nightmare“ die Bedeutung des Mediums Film für die Wahrnehmung von Leben und Tod und folglich auch für die Entwicklung des Horrorgenres:
„Das Kino an sich hat etwas von einem Geisterhaus. Die Bilder selbst zeigen nicht nur etwas, sondern sind auch in einem Bereich zwischen Realität und Repräsentation angesiedelt. Und genau das sind auch Geister, Bilder längst Verstorbener. Als die Kinematographie erfunden wurde, schon bei den ersten Lumiere-Filmen im Jahre 1895, empfand das Publikum ein Gefühl der Unsterblichkeit. Ab jetzt war der Tod nichts Endgültiges mehr! Denn jetzt gab es Bilder von Menschen in Bewegung, nicht mehr nur starre Photos. Momente des Lebens konnten festgehalten werden. Aber dieses Versprechen der Unsterblichkeit, brachte schlußendlich auch „Geister“ hervor. Und so ein Geist ist nicht jemand, der ewig lebt, sondern jemand, dessen Gestalt und Schatten eingefangen sind. Er ist gezwungen, dieselben Bewegungen und Gesten immer wieder zu wiederholen, in alle Ewigkeiten verdammt! Diese unheimlichen Gefühle sind zwar meist unter Schichten von Brauchtum und Vertrautheit vergraben, aber dem Horrorfilm gelingt es oft, diese Urängste wieder anzufachen und auftauchen zu lassen.“[8]

Gunning läßt jedoch etwas außer Acht, da er ausschließlich von Geistern spricht. Geister und Gespenster haben eine lange Tradition in der europäischen Kultur, dennoch sind Zombies nicht pauschal mit Geistern gleichzusetzen. Die Masse der Toten hat sich gespalten. „Zwischen Realität und Repräsentation angesiedelt“ haben Zombies und Gespenster gemeinsam, daß sie sich zwischen den binären Oppositionen von Leben und Tod, Sein und Nicht-Sein bewegen, durch den unmöglichen Tausch gezwungen, in ihrer Unfertigkeit in der Welt der Lebenden zu bleiben, die Lebenden heimzusuchen. Gespenster sind Bedrohungen, die zwar heimsuchen, aber nicht erfaßt, artikuliert werden können. Zu Gespenstern kann nicht gesprochen werden, da sie eben eine Zwischendimension bilden. Außerhalb der Opposition liegend können sie nicht gedacht werden, da das vorherrschende Denken im binären Code traditionell darauf bedacht ist, die Realität von den Trugbildern zu säubern. In „Marx’ Gespenster“ spielt Jacques Derrida mit der Mehrdeutigkeit des Wortes „Geist“ und der Verbindung zwischen „Geist“ und „Gespenst“, aber auch ihrer Differenz. Zunächst ist es der Geist der Geschichte des Denkens – die großen Geister der Geschichte. Diese rufen jedoch die ausgegrenzten Geister hervor, die diese Geschichte heimsuchen und Fragen stellen. Im Ungeformten dieser Fragen, in ihrer Unkenntlichkeit und der Ignoranz der Geistesgeschichte sogenannten Trugbildern gegenüber, suchen sich die ausgegrenzten Geister eine Verkörperlichung und werden zu Gespenstern:

„Sobald man den Geist nicht mehr vom Gespenst unterscheidet, verkörpert, inkarniert er sich, als Geist, im Gespenst. Oder vielmehr ist das Gespenst [...] eine paradoxe Verleiblichung, ein Leib-Werden, eine bestimmte leibliche Erscheinungsform des Geistes. Er wird vielmehr zu einem „etwas“, das schwer zu benennen bleibt: weder Seele noch Leib, und doch beides zugleich. Denn der Leib und die Phänomenalität sind das, was dem Geist seine gespenstische Erscheinung verleiht, doch sogleich in der Erscheinung verschwindet, im Kommen selbst des Wiedergängers oder der Wiederkehr des Gespenstes. Es gibt Entschwundenes (disparu) in der Erscheinung (apparition) als dem Wiedererscheinen des Entschwundenen selbst. Der Geist und das Gespenst sind nicht dasselbe und wir werden diese Differenz verschärfen müssen, aber was das angeht, was sie gemeinsam haben, so weiß man nicht, was das ist, was das gegenwärtig ist. Es ist nämlich etwas, was man nicht weiß, und man weiß nicht, ob das eigentlich ist, ob das existiert, ob es auf einen Namen hört (répond) und ihm ein Wesen entspricht (correspond). Man weiß es nicht – aber nicht aus Unwissenheit, sondern weil dieser Nicht-Gegenstand, dieses Anwesende ohne Anwesenheit, dieses Dasein eines Anwesenden oder eines Entschwundenen nicht mehr dem Wissen untersteht. Jedenfalls nicht mehr dem, was man unter dem Namen des Wissens zu wissen glaubt. Man weiß nicht, ob es lebendig ist oder tot.“[9]

Geister beziehungsweise Gespenster sind also ein raumloser Fluch, der nach einer Verkörperlichung sucht. Das trifft auf die Zombies des 20. Jahrhunderts nicht zu. Um zu begreifen was Zombies ausmacht, bedienen wir uns der Filme George A. Romeros, insbesondere seines aktuellen Films „Land of the dead“. Der Zombie verfügt über keinerlei Geistigkeit, er ist rein körperlich. Wie wir es schon dem Mythos entnehmen können, ist es die Schuld von Lebenden, daß er es nicht geschafft hat, die Seiten zu wechseln. Es gibt für ihn keinen Übergang, keine Alternative zum physischen Leben; zwar ist er von der kontrollierenden Instanz dessen, was man im allgemeinen Sprachgebrauch als „gesunden Menschenverstand“ bezeichnet, befreit, so ist er nur noch reines Begehren. Die Zombies klammern sich am physischen Leben fest und müssen sich lebendes Gewebe einverleiben, um ihren Fortbestand zu sichern. Die Toten holen sich also noch immer die Lebenden und sind immer noch in der Überzahl. Während Gespenster in ihrer Raumlosigkeit isoliert auftreten, bilden die Zombies immer eine Masse. Der Unterschied besteht ausschließlich in der Würdelosigkeit des Todes – die Toten holen nicht mehr die Lebenden zu sich hinüber, vielmehr müssen sie als ein Double des Lebenden, eine Imitation des Menschen umhertorkeln, lächerlich, wie jedes Ergebnis einer in der Mitte steckengebliebenen Verwandlung, in der Lächerlichkeit der blanken Wut jedoch nicht weniger gefährlich. Der Zombie ist eine Bedrohung, die keine besondere geistige Anstrengung erfordert, er ist eine dem Bewußtsein des Massenmedienzeitalters angepaßte Bedrohung. Es gibt kein Ritual zur Besänftigung eines Zombies – ganz im Gegensatz zum Gespenst, welches die Beschäftigung eines Geistes mit ihm einfordert, der genealogisch die Herkunft des Fluches herausarbeiten, die Stelle erkennen soll, an der Unrecht geschah. Die Gemeinschaft der Toten paßt sich dem Standard der Lebenden an um nicht zu verhungern. Auch spielt die von Gunning angesprochene Unsterblichkeit und Gefangenschaft der Toten im Medium Film eine große Rolle: Die in „Dawn of the dead“ von Tom Savini (in „Dawn of the dead“ insbesondere für Make-up und Special Effects verantwortlich ) gespielte Figur des Biker-Anführers entkommt dem von Savini miterschaffenen Mythos nicht und muß in „Land of the dead“ als Zombie zurückkehren und sein Markenzeichen mitbringen – die Machete.

Bei Romero wird die Herkunft der Zombies nie geklärt, nur ein vages Schuldbewußtsein der (Über-)Lebenden wird gelegentlich artikuliert.[10] Die Zombies sind Produkte der Menschen, wie schon im Originalmythos. In „Night of the living dead“ wird im Fernsehen von einem Satelliten berichtet, der zur Venus geschickt wurde, mit einer seltsamen Strahlung zurückkam und von der NASA abgeschossen werden mußte. Wenn man bedenkt, daß der Film vor der Mondlandung gedreht wurde, kann man diese „Information“ nur mit einem Schmunzeln versehen – auf der einen Seite aufgrund des Seitenhiebs auf den damals vorherrschenden amerikanischen kosmischen Größenwahn, auf der anderen Seite, weil ironischerweise auffällt, daß der CIA und das FBI keine Stellungnahme abgeben wollen, was die Venus-Version nicht glaubwürdiger macht. Es wird allenfalls klar, daß sie nur durch die Waffen derer unschädlich gemacht werden können, die sie erschufen. So glänzt der Anführer der Redneckmiliz in „Night of the living dead“ durch sein fundiertes Fachwissen in Punkto Zombieproblematik und klärt die Fernsehzuschauer auf, daß die dummen Kreaturen durch einen Kopfschuß zu erledigen seien. Der geballten wissenschaftlichen Ahnungslosigkeit der Fernsehexperten, die von einer „epidemy of mass homicide“ sprechen und den Zuschauer darüber aufklären, daß die geheimnisvolle Strahlung bei den Leichen Hirnaktivitäten auslöse („kill the brain and you will kill the ghoul“ lautet die massentauglich formulierte Lösung), stellt Romero eine Begründung aus halbvergessenen mythischem Wissen: Peter, die schwarze Hauptfigur aus „Dawn of the dead“, zitiert die prophetische Warnung seines Großvaters, der Priester auf Trinidad war, wo sich das Christentum mit Macoumba-Voodoo vermischte: „When there is no more room in hell, the dead will walk the earth.“. In „Land of the dead“ wird die Herkunft der Zombies nicht mehr begründet. Die menschliche Schuld ist vergessen, es scheint, als wären die Zombies schon immer ein fester Bestandteil des menschlichen Lebens gewesen.

Romero schafft es, dem Zombiemythos mehrere amerikanische Mythen der jeweiligen Zeit entgegenzustellen – in „Night of the living dead“ etwa die Nachrichten, die den Bürger mit frischen und objektiven Informationen versorgen,[11] den Kosmos mit seinen unbekannten fremdartigen Gefahren und Waffen, mit denen man allen Gefahren trotzen kann. Mit jedem Film reagiert Romero auf eine veränderte gesellschaftliche Situation und verändert die Funktion seiner Toten. Um die Veränderungen zu erkennen, werfen wir einen Blick auf zwei der wichtigsten Serien, die sich durch Romeros Filme ziehen:

Bedürfnis nach Sicherheit und Orte, die Sicherheit versprechen

Ist es in „Night of the living dead“ ein altes Haus, wo sich der Keller im Endeffekt und langem Konflikt als der einzige sichere Ort erweist, ist es in „Dawn of the dead“ ein Einkaufsparadies, welches ein Leben in Sicherheit und Wohlstand verspricht, so wird in „Land of the dead“ ein doppelter Ring der Sicherheit aufgebaut. Zum einem gleicht die Stadt einer Hochsicherheitsfestung mit Stacheldraht und elektrisch geladenen Zäunen, zum anderen wird die Stadt aus einem Wolkenkratzer regiert, der in der Mitte der Stadt steht und wo die Reichen hinter Panzerglas ihr gewohntes Luxusleben weiterführen – das Fiddler’s Green. Die Gemeinschaft der Lebenden wird von zwei Dingen zusammengehalten – der Angst angesichts der Tatsache, daß die Zombies sich mittlerweile im ganzen Land ausgebreitet haben, und einem Traum, der in der Stadt verbreitet wird, dem Traum vom sozialem Aufstieg und den damit verbundenen Einzug ins Fiddler’s Green.[12] Eine nur vorgeschobene Möglichkeit, da die Reichen unter sich bleiben wollen und keinen sozialen Aufstieg zulassen, was auch den Konflikt des Films auslöst. Romero vertauscht die Rollen der Toten und der Lebenden. Die Zombies stellen zwar noch gewohnheitsmäßig eine Bedrohung dar, faktisch aber kommen sie kaum noch in die Nähe der Stadt. Während die Gewalt der Lebenden sich in den alten Filmen damit rechtfertigt, daß sie sich vor den Toten schützen müssen, sind die Lebenden nun eindeutig die Aggressoren, denen ihre Umgebung zu eng ist und die ihre imperialistischen Gewohnheiten fortführen. Mit einem stärkeren Bedürfnis nach Sicherheit denn je. Eine paradoxe Wechselwirkung – je weniger bedrohlich und aggressiv die Zombies vorgehen, desto ausgefeilter werden die Sicherheitsvorkehrungen der Lebenden. Die Jägereinheit fährt mit dem gepanzerten und mit modernsten Waffen ausgestatteten Truck „Dead Reckoning“ in die Siedlungen, wo sich Zombies niedergelassen haben, sie schießen Feuerwerke in den Himmel, die Zombies starren gebannt nach oben und werden der Reihe nach erschossen.

Bewusstsein, Erinnerung und Persönlichkeit

Romero bringt die Toten und Lebenden einander näher, er verwischt die Differenzen immer mehr. So heißt es in einem Dialog von „Land of the dead“: „They’re pretending to be alive.“ – „Isn’t it what we’re doing? Pretending to be alive?” Sind die Supermarkt-Zombies aus „Dawn of the dead” den konsumfreudigen Lebenden in ihrem Begehren durchaus nicht unähnlich, so läßt Romero in „Land of the dead“ seine Zombies sich weiterentwickeln und lernen. Gleich zu Beginn des Filmes werden wir Zeugen einer kuriosen Zombieversammlung, auf der die Zombies sich allesamt an ihre früheren Berufe zu erinnern scheinen. So gibt es eine groteske Kapelle von Musikantenzombies (deren Musik man, wenn man euphemistisch ist, als disharmonisch bezeichnen könnte) und einen Tankwartzombie – den schwarzen „Big Daddy“, der im Verlauf des Films zum Anführer der Zombies wird, da er in seiner Entwicklung schnell Fortschritte erzielt. Damit wird die Linie des Erinnerungsvermögens aus „Dawn of the dead“ fortgeführt, wo die Zombies sich daran erinnern, daß das Einkaufszentrum eine wichtige Funktion in ihrem Leben hatte. In „Land of the dead“ werden die Zombies mehr als nur Kanonenfutter, sie bekommen eine Identität. Im Verlauf des Films entwickeln sie nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Bewußtsein, man könnte sogar von einem Klassenbewußtsein sprechen. Dabei sind mehrere Faktoren von Bedeutung. Zunächst ist da die Ästhetik der „Feuerblumen im Himmel“: Die Feuerwerke erinnern die Zombies an einen Himmel, an das Versprechen von Unsterblichkeit, eine Transzendenz, derer sie beraubt wurden. Nach der ästhetischen Dimension kommt die politische Dimension hinzu: Die Zombies erkennen ihre Widersacher und bewegen sich Richtung Stadt, sind intelligent genug, die Struktur der Stadt zu durchschauen und sie über die ungeschützte Seite (den Fluß) zu betreten. Sie überwinden dabei ihre Scheu vor dem Wasser, lernen unterwegs den Umgang mit Waffen, lassen sich nicht mehr von den „Feuerblumen“ ablenken, als sie sich durch die Menschenmenge fressen und brechen ins Fiddler’s Green ein, wo „Big Daddy“ (der Anführer der Toten) Kaufmans (der Herrscher der Stadt mit unverkennbarer Donald Rumsfeld-Attitüde) Auto volltankt und dann mitsamt Kaufman explodieren läßt. Der Zaun, den die Menschen zu ihrem Schutz erbaut haben, ist der gleiche Zaun, der sie daran hindert, aus der Stadt zu fliehen, als der Feind eingedrungen ist.

Während also die Toten menschliche Züge erlernen, verlernen die Menschen ihre Menschlichkeit. Sie zeigen keinen Sinn für Ästhetik und haben keinerlei Visionen außerhalb von Reichtum und persönlicher Sicherheit, ihre Gemeinschaft bekommt Risse beim ersten offenen Konflikt, als der Traum nicht erfüllt wird. Einer der Anführer der Dead Reckoning-Crew wird nicht im Fiddler’s Green aufgenommen und wendet sich gegen Kaufman, indem er die Superwaffe entführt und ihm droht, Raketen auf den Wolkenkratzer abzufeuern, wenn er bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht einen hohen Geldbetrag bekomme. Die Lebenden verfügen im Gegensatz zu den Toten über keinerlei Lernfähigkeit – selbst in einer Welt, wo Tote umherwandeln, verfügt Geld noch immer über einen Wert und ist das Einzige, was diese Art von Gemeinschaft notdürftig zusammenhält – die Gemeinschaft der Lebenden funktioniert, indem sie eigentlich nicht funktioniert, da es Selektion und Ausgrenzung gibt. Romero gibt die Lebenden auf. Während die Zombies an Profil gewinnen, bleiben die lebenden Charaktere blaß. Die Zuschauer erfahren kaum etwas über ihre Vergangenheit – Riley, einer der Hauptcharaktere sagt von sich, er hätte in seinem Leben nichts Schlimmes erlebt und würde keine Background Stories mögen. Die Charaktere bauen keine persönliche Beziehung auf, da sie größtenteils in ihren jeweiligen Klischees und Catchphrases kommunizieren. Sie sind nicht mehr als ein Gimmick, haben nicht einmal volle Namen.

Die Verlagerung des Schwerpunkts zugunsten der Toten äußert sich auch in der Serie des schwarzen Protagonisten, welcher bei Romero auch die klassische Bedeutung des Wortes besitzt – der Ersthandelnde. Sowohl in „Night of the living dead“ als auch in „Dawn of the dead“ ist der Schwarze derjenige, der handelt, Ideen hat und die Führung übernimmt. In „Land of the dead“ ist der Protagonist eben „Big Daddy“ – er versucht, seine Mitzombies aus der Schußlinie zu ziehen, mobilisiert sie zum Aufstand, er bringt den Anderen etwas bei, seine Führerposition ist also auf besonderen Fähigkeiten aufgebaut, während Kaufman sich auf Angst, Ausweglosigkeit und Manipulation stützt. Eine Gemeinschaft, die nicht ein Werden fördert, sondern nur den gegebenen Zustand stützt und somit nur den eigenen Zerfall verzögert, hat keine Zukunft. Romero traut den Lebenden nicht zu, die Verhältnisse, in denen sie leben, zu hinterfragen und zu verändern. Die Revolution muß von den Toten ausgehen. Es sind die Toten, die in die Ökonomie einbrechen, die Welt des Luxus heimsuchen, ihr Recht einfordern und daran erinnern, daß es notwendig wäre, mit ihnen zu teilen. Während die Toten auf dem Weg sind, aus einer Masse eine Gemeinschaft herauszubilden und eine neue Form der Existenz zu erreichen, läßt Romero den Überlebenden die Möglichkeit, an alter Stätte eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Am Ende des Films geschieht zum ersten Mal eine Begegnung der Lebenden und der Toten auf Augenhöhe, Riley und „Big Daddy“ haben Augenkontakt und scheinen sich zu verstehen. Riley verzichtet darauf ihn zu eliminieren und auch Big Daddy greift nicht an, sondern dreht sich um. Sie entdecken Gemeinsamkeiten, beide suchen nach einem Ort, an dem sie sein können. Romero sieht die Möglichkeit einer Änderung der Gemeinschaftsform der Lebenden wohlwollend, aber skeptisch. Er läßt den Protagonisten auf der Seite der Lebenden einen Neuanfang an einem anderen Ort starten – in Kanada.

Anmerkungen

[1] CANNETTI, S. 76-77.

[2] Es wäre höchst spekulativ, diese Entwicklung in einen linearen historischen Ablauf einzuordnen. Man kann wohl davon ausgehen, dass das Sich-Herausbilden von Schamanen, welches in jede Kultur Einzug hielt, nicht vom allgemeinen Entstehen von sozialen Strukturen zu trennen sei. Die Domestizierung der Toten können wir uns also eher als eine Schicht vorstellen, die mit der Hilflosigkeit den Toten gegenüber ko-existiert, bei wechselseitiger Wirkung.

[3] Vgl. CANETTI, S. 51 ff.

[4] LEVI-STRAUSS, S. 233.

[5] Ebd.

[6] GILGAMESCH, S. 56.

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Zombie, zuletzt eingesehen am 2.12.2005, 1:53.

[8] The American Nightmare, Epix Media AG 2005.

[9] DERRIDA, S. 19 f.

[10] Diese mysteriöse Herkunft zog eine Reihe von Parodien nach sich, so in einer „South Park“-Episode, wo die Zombies durch versehentliches Einbalsamieren der Leichen mit Worchester-Sauce entstehen.

[11] Dieser Mythos wird zu Beginn von „Dawn of the dead“ entlarvt, als der Producer zugibt, seit zwölf Stunden alte Informationen über Zufluchtsstationen zu senden

[12] Romero benutzt sogar als Stilmittel die Werbung im Film – einen Werbespot für das Fiddler’s Green. Interessant ist die Serie der bewegten Bilder, der Fernseher in Romeros Filmen. Ist der Fernseher in „Night of the living dead“ noch wichtig, um Informationen zu bekommen, erlebt man in „Dawn of the dead“ den Abgesang auf das Fernsehen, als man sieht, wie eine Fernsehstation im Chaos versinkt, veraltete Informationen sendet und dann den Sendebetrieb einstellt, so erfüllen die Fernseher in „Land of the dead“ nur noch die Funktion Werbung auszustrahlen.

Literatur

CANETTI, Elias: Masse und Macht. Frankfurt a. Main.

LEVI-STRAUSS, Claude: Traurige Tropen. Frankfurt a. Main 1978.

[GILGAMESCH]: SCHOTT, Albert Schott / SODEN, Wolfram v.: Das Gilgameh-Epos. Stuttgart 1958.

DERRIDA, Jacques: Marx Gespenster. Frankfurt a. Main 2003.