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Erschienen in: Ausgabe #5 vom Januar 2006


von Michael Wehren

(LEBEN) [LERNEN] IM PROVISORIUM

Einige Bemerkungen zu Sandy Craus’: „Allenthalben zwischen Gedankenstrichen – Da, wo ich wohne“

Michael Wehren

Sollte der Diskurs der Moderne tatsächlich auf einem Phantom, einer Idolisierung ursprünglicher Heimat und Selbstgegenwart basieren, so kann es nicht verwundern, dass im Kontext seiner Re-Vision, die marginalen Grenzräume, die ur-sprünglichen Geographien „unserer“ Lebenswelt, in den Fokus künstlerischer Praxis rücken. Alterität und Differenz beginnen nicht beim Anderen, sondern in einem Heim, welches selbst konstitutiv gespalten ist.

Die andere Wahrheit der Moderne ist ihre Tendenz zur Deterritorialisierung und Akkumulation. „Kapitalismus als Religion“ – so Walter Benjamin, steht für das völlige immanent werden der Welt und des Lebens, im Modus einer Verschuldung welcher keine Transzendenz zu entkommen vermag.

In Sandy Craus’ Videoinstallation „Allenthalben zwischen Gedankenstrichen – Da, wo ich wohne“ begegnet dem Zuschauer eine Aisthetik, eine Strategie der Wiederholung und Wiederaneignung. Der Ort ihrer videographierten Performances ist eine urbane Wildnis, ein Grenzraum, der innerhalb des städtischen Lebensraumes, den Wieder-Einbruch von Natur markiert. Jedoch ist diese immer schon verschoben, ihrer selbst beraubt, keine ursprüngliche, reine Präsenz. Zur Atmosphäre der Aufnahmen tragen eben jene Splitter gesellschaftlicher Realität wie der brüchige Beton einen entscheidenden Teil bei.

Der Eintritt der Künstlerin in das Blickfeld ist der Beginn eines Grenzganges, eines Experiments, welches zwischen Kunst, Gesellschaft und Politik angesiedelt ist. Genauso wie die gezeigten Räume Objekte einer historischen Ent-Ortung von Produktion und Geschichte sind, ist auch Sie offenkundig ver-rückt worden. Sich das Grenzterritorium wieder gänzlich anzueignen, stellt eine gewaltsame Besitznahme dar, jenem Performativ der Unabhängigkeitserklärung ähnlich, welches Jaques Derrida untersucht hat. Sandy Craus geht einen anderen, ungleich unsichereren Weg. In ihre Wieder-Aneignung schreibt sich das Moment der Ent-Ortung von Beginn an ein. Die Re-Inszenierungen beinahe basaler menschlicher Tätigkeiten, erproben immer wieder ihren Bezug zum Raum, zum Material, zum Mit-Gebrachten und achten dabei einen gewissen Abstand, der provisorisch beschrieben als Gastfreundschaft gelten mag. Gastfreundschaft auch dem Ort gegenüber, seiner Geschichte – eher eine Ethik der Unterhaltung, angedeutet, mit Bataille: der (unmöglichen?) Kommunikation.

Bett

Feuer

Boote

Garten

Steine

Die Handlungen deren Zeugen wir sind, tragen die Signatur des Gestischen. Die Geste, verstanden als Aufgabe jener grundlegenden abendländischen Dichotomie zwischen praxis und poisis, tritt in der Wiederholung hervor. Ihr entspricht jene Verschiebung und Ergänzung, die das teleologische Verständnis des Mittels und des Zwecks (von dem ein Teil sicherlich eine instrumentalistische Ideologie der Handlung ist) einer ungeheuerlichen Profanierung aussetzt. Wieder-angeeignet wird das menschliche Handeln eben in jener Bewegung, fort von der ersatz-sakralen Strategie der Moderne, hin zu einem neuen Ort im Nicht-Ort des Imperialen. Dieser neue Ort trägt zunächst einmal den Namen der Spur, des beinahe unmerklichen Entzugs. In diesem löst sich das Primat des Signifikats auf und hervor treten die Signifikanten, die Farben, der Umriss, die Körnung des Bildes, der Untergrund der Projektion.

Anthropologisch gesprochen entsteht das Bild aus einer Verneinung des Todes. Die Videoaufnahme steht am Ende einer Entwicklung, in der das Leben im Bild festgehalten werden soll. Dem daraus entstehenden Paradox antwortet Sandy Craus durch die simultane Projektion mehrer Videosequenzen. Das Doppelgängermotiv fügt der Ideologie der Präsenz dabei eine unheimliche Ergänzung hinzu. In der Kreuzung zweier Strategien: einmal der Wiederholung und einmal der Simultanität wird Ästhetik überschritten, hin zu einer Aisthetik, auch des Medialen bzw. der Medialität. Der Bildraum, im klassisch abendländischen Verständnis immer auch ein Raum der Souveränität, ist durch seine Verteilung, seine Organisation, dem Zuschauer nicht auf einmal zugänglich. Von Anfang an handelt es sich um eine Erfahrung der Re-Konstruktion, und damit um eine Überschreitung der Kontrolle über das Werk und über das Leben. Wie ein Zitat tritt das Geschehene, und sein Gefolge an Assoziationen (die einer Aisthetik gerade eben nicht äußerlich, nicht peripher in einem pejorativen Sinne sein können) vor, neben und hinter uns: jene lange Einstellung in welcher der Gebrauch der Schaufel uns zwischen dem Motiv des Aufräumens, des wieder Anfangens, des Grabens und des Begrabens zurücklässt. Das Feuer als Symbol der Kultur und gleichzeitig des Opfers, Chiffre des Zivilisationsprozesses.

In der Simultanität der Doppelgänger, ihrer Unheimlichkeit, entstehen Lücken, Spuren das Sandy Craus das Feld der Darstellung verlassen hat, nur um erneut zu begegnen. „Allenthalben zwischen Gedankenstrichen – Da, wo ich wohne“ erforscht im Bereich des Öffentlichen was als gemein [comune] zu beschreiben wäre: einen Riss, einen Bruch, der auch die Chance einer anderen Wiedereinschreibung jenseits der offenkundigen Alternativen der Moderne bietet.

Literatur:

ADORNO, Theodor W.: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt a. Main 2001.

AGAMBEN, Giorgio: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. Freiburg-Berlin 2001.

DERS.: Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a. Main 2002.

DERS.: Profanierungen. Frankfurt a. Main 2005.

BELTING, Hans: Bild-Antropologie. München 2001.

BENJAMIN, Walter: Gesammelte Schriften. Frankfurt a. Main 1989.

BHABA, Homi K.: Die Verortung der Kultur. Tübingen 2000.

DELEUZE, Gilles / GUTTARI, Félix: Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie. Berlin 2002.

DERRIDA, Jaques: Von der Gastfreundschaft. Wien 2001.

FREUD, Sigmund: Essays II. Auswahl 1915-1919. Berlin 1988.

HARDT, Michael / NEGRI, Antonio: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt a. Main 2002.

THOLEN, Georg Christoph: Die Zäsur der Medien. Kulturphilosophische Konturen. Frankfurt a. Main 2002.

WIRTH, Uwe: Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt a. Main 2002