von Michael Wehren
(LEBEN) [LERNEN] IM PROVISORIUM
Einige Bemerkungen zu Sandy Craus’: „Allenthalben zwischen
Gedankenstrichen – Da,
wo ich wohne“
Michael Wehren
Sollte der Diskurs der Moderne
tatsächlich auf einem Phantom, einer Idolisierung
ursprünglicher Heimat und Selbstgegenwart basieren, so kann
es nicht verwundern,
dass im Kontext seiner Re-Vision, die marginalen Grenzräume, die ur-sprünglichen
Geographien „unserer“ Lebenswelt, in den Fokus künstlerischer
Praxis rücken. Alterität und
Differenz beginnen nicht beim Anderen,
sondern in einem Heim, welches selbst konstitutiv gespalten ist.
Die andere Wahrheit der Moderne ist ihre Tendenz zur Deterritorialisierung und
Akkumulation.
„Kapitalismus als Religion“ – so Walter Benjamin,
steht für das völlige immanent werden der
Welt und des Lebens, im
Modus einer Verschuldung welcher keine Transzendenz zu entkommen vermag.
In Sandy Craus’ Videoinstallation „Allenthalben zwischen Gedankenstrichen
– Da, wo
ich wohne“ begegnet dem Zuschauer eine Aisthetik, eine
Strategie der Wiederholung und Wiederaneignung. Der Ort
ihrer videographierten
Performances ist eine urbane Wildnis, ein Grenzraum, der innerhalb des städtischen
Lebensraumes, den Wieder-Einbruch von Natur markiert. Jedoch ist diese immer
schon verschoben, ihrer selbst beraubt,
keine ursprüngliche, reine Präsenz.
Zur Atmosphäre der Aufnahmen tragen eben jene Splitter
gesellschaftlicher
Realität wie der brüchige Beton einen entscheidenden Teil bei.
Der Eintritt der Künstlerin in das Blickfeld ist der Beginn eines Grenzganges,
eines Experiments,
welches zwischen Kunst, Gesellschaft und Politik angesiedelt
ist. Genauso wie die gezeigten Räume Objekte einer
historischen Ent-Ortung
von Produktion und Geschichte sind, ist auch Sie offenkundig ver-rückt
worden. Sich
das Grenzterritorium wieder gänzlich anzueignen, stellt eine
gewaltsame Besitznahme dar, jenem Performativ der
Unabhängigkeitserklärung
ähnlich, welches Jaques Derrida untersucht hat. Sandy Craus geht einen
anderen, ungleich unsichereren Weg. In ihre Wieder-Aneignung schreibt sich das
Moment der Ent-Ortung von Beginn an ein.
Die Re-Inszenierungen beinahe basaler
menschlicher Tätigkeiten, erproben immer wieder ihren Bezug zum Raum, zum
Material, zum Mit-Gebrachten und achten dabei einen gewissen Abstand, der provisorisch
beschrieben als
Gastfreundschaft gelten mag. Gastfreundschaft auch dem Ort gegenüber,
seiner Geschichte – eher eine Ethik
der Unterhaltung, angedeutet, mit
Bataille: der (unmöglichen?) Kommunikation.
Die
Handlungen deren Zeugen wir sind, tragen die Signatur des Gestischen. Die
Geste, verstanden als Aufgabe jener
grundlegenden abendländischen Dichotomie
zwischen praxis und poisis, tritt in der Wiederholung hervor. Ihr
entspricht
jene Verschiebung und Ergänzung, die das teleologische Verständnis
des Mittels und des
Zwecks (von dem ein Teil sicherlich eine instrumentalistische
Ideologie der Handlung ist) einer ungeheuerlichen
Profanierung aussetzt. Wieder-angeeignet
wird das menschliche Handeln eben in jener Bewegung, fort von der
ersatz-sakralen
Strategie der Moderne, hin zu einem neuen Ort im Nicht-Ort des Imperialen. Dieser
neue Ort
trägt zunächst einmal den Namen der Spur, des beinahe unmerklichen
Entzugs. In diesem löst sich das
Primat des Signifikats auf und hervor
treten die Signifikanten, die Farben, der Umriss, die Körnung des Bildes,
der Untergrund der Projektion.
Anthropologisch gesprochen entsteht das Bild aus einer
Verneinung des Todes.
Die Videoaufnahme steht am Ende einer Entwicklung, in der das Leben im Bild
festgehalten
werden soll. Dem daraus entstehenden Paradox antwortet Sandy Craus
durch die simultane Projektion mehrer
Videosequenzen. Das Doppelgängermotiv
fügt der Ideologie der Präsenz dabei eine unheimliche
Ergänzung
hinzu. In der Kreuzung zweier Strategien: einmal der Wiederholung und einmal
der Simultanität
wird Ästhetik überschritten, hin zu einer Aisthetik,
auch des Medialen bzw. der Medialität. Der
Bildraum, im klassisch abendländischen
Verständnis immer auch ein Raum der Souveränität, ist durch
seine
Verteilung, seine Organisation, dem Zuschauer nicht auf einmal zugänglich.
Von Anfang an handelt es
sich um eine Erfahrung der Re-Konstruktion, und damit
um eine Überschreitung der Kontrolle über das Werk und
über das
Leben. Wie ein Zitat tritt das Geschehene, und sein Gefolge an Assoziationen
(die einer Aisthetik
gerade eben nicht äußerlich, nicht peripher
in einem pejorativen Sinne sein können) vor, neben und
hinter uns: jene
lange Einstellung in welcher der Gebrauch der Schaufel uns zwischen dem Motiv
des
Aufräumens, des wieder Anfangens, des Grabens und des Begrabens zurücklässt.
Das Feuer als Symbol der
Kultur und gleichzeitig des Opfers, Chiffre des Zivilisationsprozesses.
In der Simultanität
der Doppelgänger, ihrer Unheimlichkeit, entstehen
Lücken, Spuren das Sandy Craus das Feld der Darstellung
verlassen hat,
nur um erneut zu begegnen. „Allenthalben zwischen Gedankenstrichen –
Da, wo ich
wohne“ erforscht im Bereich des Öffentlichen was als gemein
[comune] zu beschreiben wäre: einen Riss,
einen Bruch, der auch die Chance
einer anderen Wiedereinschreibung jenseits der offenkundigen Alternativen der
Moderne bietet.
Literatur:
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Frankfurt a. Main
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