von Torsten Preuß
Kommunitarismus und Gemeinschaft.
Verortung
Während der Kommunitarismus in Deutschland eher ein
Schattendasein pflegte,
war er insbesondere in den 80er und 90er Jahren des letzen Jahrhunderts im amerikanischen
Raum einer recht breiten Diskussion unterworfen. Ideengeschichtlich kann man
den Kommunitarismus als eine Art
Gegenentwurf zum aufkommenden (Neo-) Liberalismus
(und hier insbesondere zu John Rawls „Theorie der
Gerechtigkeit“)
und einer zunehmenden Individualisierung in den 70er und 80er Jahren des 20.
Jahrhunderts
verorten. Bekannteste Vertreter waren in den 80er Jahren Axel Honneth
und Michael Sandel, in den 90er Jahren machte
sich der Soziologe Amitai Etzioni
als Vertreter des Kommunitarismus einen Namen. Insbesondere letzterer beruft
sich in seinen Schriften unter anderem sich auf die soziologischen Klassiker
Durkheim und Parsons. Der Kommunitarismus
betont explizit, keine linke oder
rechte (im politischen Sinne) Theorie zu sein, sondern will vielmehr partei-
und ideologieübergreifende Vorschläge für alle Mitglieder der
Gesellschaft zu bieten.
Am Beispiel des Soziologen Amitai Etzioni möchte ich zeigen, was Kommunitaristen
unter
Gemeinschaft verstehen. Etzioni war Gründer des kommunitaristischen
Netzwerks und nimmt derzeit die Rolle des
politischen Vordenkers des Kommunitarismus
ein. Etzioni lehrte in Berkeley und war politischer Berater der
amerikanischen
Präsidenten Carter und Clinton. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind
deshalb auch eher
sozialwissenschaftlicher als philosophischer Natur.
Der Begriff der guten Gemeinschaft
Der Begriff der guten Gesellschaft ist einer der zentralen Punkte für
die Vertreter des
Kommunitarismus. In der Konsequenz bedeutet dies für
Kommunitaristen auch, dass das Gute dem Gerechten vorzuziehen
ist (und sich
damit von Rawls deutlich zu distanzieren). Etzioni [1] weist diesbezüglich
jedoch darauf hin,
dass man den Begriff der (guten) Gesellschaft nicht losgelöst
vom Kontext der jeweiligen Zeit betrachten darf.
Eine Gesellschaftsordnung,
die im 18. Jahrhundert als sinnvoll und gut erachtet wurde (also im Zweifel
auch eine
liberale Ordnung), könnte in der Regel heute als völlig
überholt gelten. Kommunitaristen sehen in ihren
Entwurf einer guten Gesellschaft
eine Antwort auf den ihrer Meinung nach derzeit herrschenden exzessiven
Individualismus,
in dem zwar jeder um den Erhalt oder gar Ausbau seiner individuellen Rechte
und Freiheiten
besorgt ist, aber dabei allzu leicht vergisst, das aus diesen
individuellen Rechten auch Pflichten resultieren. Dabei
soll das kommunitaristische
Programm nicht nur ein Vorschlag für die so genannten westlichen Gesellschaften
sein, sondern aufgrund seiner allgemeinen und von allen Kulturen anerkannten
Werte ein Entwurf für alle Formen von
Gemeinschaften sein. Grundlage hierfür
ist, dass es in den Augen von Etzioni einen Kanon von (fundamentalen)
Werten
gibt, der von allen Menschen, gleich welcher Herkunft, geteilt und akzeptiert
wird. Und diese geteilten
und akzeptierten Werte sollen Grundlage einer (guten)
Gesellschaft sein.
Was macht eine gute
Gemeinschaft aus?
Die gute Gemeinschaft stellt nach Meinung der Kommunitaristen einen moderaten
Ausgleich zwischen der vom Liberalismus geforderten individuellen Autonomie
und einer ausgewogenen sozialen
Ordnung her. Dabei ist zu beachten, dass nach
Meinung von Kommunitaristen sich beide Positionen gegenseitig bedingen
und sich
keinesfalls gegenseitig ausschließen müssen. Ohne ein Mindestmass
an Sozialer Ordnung kann es
nach Meinung von Kommunitaristen überhaupt
keine individuelle Freiheit geben. Eine stabile soziale Ordnung
garantiert erst,
dass der Einzelne seine Freiheiten (aus-) leben kann. Dies drückt sich
auch in der
„Neuen Golden Regel“ aus, die Etzioni in Anlehnung an
Kants Goldene Regel folgendermaßen formuliert:
„Achte und wahre
die moralische Ordnung der Gesellschaft in gleichem Maße, wie du wünschst,
dass
die Gesellschaft deine Autonomie achtet und wahret.“[2]
Ausgehend von dieser „Neuen
Goldenen Regel“ wird das Fundament „entwickelt“,
auf dem eine gute Gesellschaft basiert:
Solidarität mit anderen Mitgliedern
der Gesellschaft, Verantwortungsgefühl für sich und andere, eine
freiwillige
Anerkennung der Ordnung und eine auf individuellen Werten basierenden Autonomie.
Etzioni drückt
es so aus:
„Kommunitaristen sprechen sich dafür aus, die moralischen, sozialen
und politischen Grundlagen der Gesellschaft zu stärken. [...] Kommunitaristen
setzen auf moralischen Dialog,
Erziehung und Bildung, wenn es darum geht, andere
von ihren Idealen zu überzeugen, anstatt ihnen ihre Werte durch
den Druck
des Gesetzes aufzunötigen. Sie haben Vertrauen in das Vertrauen.“[3]
Wie
soll unsere Gesellschaft zur guten Gemeinschaft werden?
Der Wille zur Veränderung von
Gesellschaften kann für Kommunitaristen
nicht von oben, sondern nur von unten kommen. Ausgehend von der kleinsten
Gemeinschaft
(der Familie) sollen Diskussionen über Normen und Werte der Gesellschaft
angestoßen
werden. Und diese sollen dann von allen Mitgliedern dieser
Gemeinschaft im Bekanntenkreis fortgeführt werden. Und
da jeder Mensch
Mitglied in zahlreichen Gemeinschaften ist (Kegelclub, Partei, Interessenverein,
Freundeskreis,
etc.), wird auch garantiert, dass keine Gemeinschaft die Meinung
eines Mitgliedes zu sehr unterdrückt. Wäre
dies der Fall, würde
sich das entsprechende Mitglied sehr wahrscheinlich aus der ihn unterdrückenden
Gemeinschaft zurückziehen und sich in anderen Gemeinschaften stärker
engagieren.
Die Aufgaben des Staates sind in diesem Diskussionsprozess darauf beschränkt,
die
Meinungsfreiheit zu garantieren (wobei diese nicht unbeschränkt gelten
soll!) und Ressourcen für
Diskussionsprozesse bereitzustellen. Diese Ressourcen
könnten beispielsweise öffentliche Räume sein,
welche einen moralischen
Dialog befördern können und Aufrufe durch die Politik, Probleme in
eben diesen
Räumen zu diskutieren. Grundlage für die durch solche
Diskussionen zu erreichenden Veränderungen (oder
eher: Verbesserungen)
sollen die persönlichen Moralvorstellungen sowie das Gewissen des Einzelnen
sein.
Hintergrund und Grundlage für dieses stark normative Gerüst
einer Gesellschaft soll das Erziehungs- und
Bildungssystem sein. In diesem sollen
Grundwerte vermittelt werden, auf welche sich die Gesellschaft zuvor geeinigt
hat und die auch jedem Mitglied der Gesellschaft bekannt sein sollen. Welche
Werte dies genau sind, verrät
Etzioni leider nicht. Zudem soll in staatlichen
Schulen eine offene Streitkultur herrschen, damit auch dort schon
vorhandene
Werte diskutiert und gegebenenfalls neu verhandelt werden können.
Ausgehend von Diskussionen
auf lokaler Ebene sollen zunächst nationale
Gemeinschaften (=Staaten) und am Ende eine auf Konsens und gemeinsam
geteilten
Werten bestehende Weltgemeinschaft entstehen…
Wo ist der Haken?
Auf den Punkt gebracht, haben viele Kommunitaristen (und Etzioni im Besonderen)
das Problem, dass sie
ihre Ausführungen gerne als Programm einer besseren
Gemeinschaft betrachten. Wie diese bessere Gemeinschaft dann
aber zu erreichen
ist, bleibt bei Ihnen im „Schleier des Nichtwissens“.[4] Natürlich
werden die
Besinnung auf Normen und Werte, sowie der Vorrang des Guten vor dem
Gerechten immer wieder genannt. Es fehlt jedoch
eine Nennung von bestimmten
(kommunitaristischen) Grundwerten und es wird auch nicht geklärt, was denn
nun
das Gute ist, wie genau und warum man zur beschriebenen idealen kommunitaristischen
Gesellschaft überhaupt kommen
soll. Dass in der vom Kommunitarismus entworfenen
Gemeinschaft das Individuum hinter die Gemeinschaft tritt, muss man
zunächst
nicht kritisieren. Aber die Begründung, warum der oder die Einzelne dies
eben machen sollte,
fällt recht kurz aus. Zudem wirkt das Werk Etzionis
an vielen Stellen eben nur wie die Handlungsanleitung für
Politiker, und
nicht wie eine echte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen.
Das wirft
insgesamt ein schlechtes Licht auf die kommunitaristische Idee, da
sie selbst verspricht, ein wenig Klarheit und
Ordnung in der durch (neo-) liberale
Entwicklungen in Bewegung (oder Unordnung) geratenen Welt zu schaffen.
Anmerkungen
[1] ETZIONI 1999: S.21f.
[2] Ebd., S.19.
[3] Ebd., S.111f.
[4]
Der Schleier des Nichtwissens geht zwar auf den Rawls´schen Urzustand
zurück, er schien mir an dieser Stelle
aber als Bezeichnung der Unklarheit
recht passend
Literatur:
[ETZIONI 1999]: ETZIONI, Amitai: Die
Verantwortungsgesellschaft. Berlin 1999.
NÜBEL, Hans Ullrich (Hg.): Jeder nur sich selbst der Nächste?
Inder
Erziehung Werte vermitteln. Freiburg 2001.
RAWLS, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt a.
Main 1975