von Tobias Prüwer
Nur eine Frage der Technik?
Ein Blindflug im sozio-technischen Raum
Prämissen des Maschinen-Zeitalters.
– Die Presse, die Maschine,
die Eisenbahn, der Telegraph sind Prämissen, deren tausendjährige
Conclusion noch Niemand zu ziehen gewagt hat.[1]
Technik umrahmt unser tägliches Leben.
Zielsicher gehen wir mit allerlei
Gerät um und verlassen uns auf dieses, sind manchmal mehr als ratlos, wenn
wir vor neuen Apparaturen stehen oder die scheinbar vertrauten ihre Funktion
nicht mehr erfüllen. Was nun hat
Technik mit Gemeinschaft zu tun? Technik
ist ein Mittel zum Zweck, wozu also das Gefolge von Hammer und Bohrmaschine
in das Feld philosophischer Betrachtung stellen? Der Begriff der Technik scheint
unproblematisch zu sein;
insbesondere heutzutage, leben wir doch im technischen
Zeitalter. Fragt man aber, was denn Technik eigentlich ist,
verliert sich diese
Sicherheit. Dann stellt sich „Die Frage nach der Technik“ (Heidegger).
Wer dieser
folgt, wird alsbald dem Romantiker- oder Technikfeindverdacht ausgesetzt.
Wir möchten diese Frage dennoch stellen
und zwar jenseits von Affirmation
und Verdammung. Es soll gefragt werden, ob der Begriff von Technik als neutralem
Werkzeug die Erfassung der Phänomene unseres technisierten, von Technik
und Apparaturen tief durchdrungenen
Zeitalters ausreichende Eignung besitzt.
Hierzu soll ein kleiner Streifzug durch das weite Begriffsfeld unternommen
werden.
Dabei wollen wir vom „Technischen“ reden und die Ambiguität,
die im Verlauf einer ersten
Betrachtung durchaus produktiv sein kann, bewußt
in Kauf nehmen. Denn es scheint, daß man dem Phänomen
des Technischen
nur gerecht werden kann, wenn es nicht nur von einem Punkt her gedacht wird.
Aus diesem Grund
soll im Folgenden ein solch eindimensionales Unterfangen zugunsten
einer Überlegung in mehreren Perspektiven
aufgegeben werden, die unter
diesen Umständen fragmentarischer Natur ist. Selbstverständlich wird
dies
Technische nicht als etwas Substanzielles oder Subjekthaftes vorgestellt,
sondern dient lediglich zur Zusammenfassung
all dessen, was wir für gewöhnlich
als technisch betrachten. Selbst wenn dieser Zug etwas künstlich
wirkt,
so birgt er den Vorteil, einen terminus technicus zu besitzen, der das Fragwürdige
des Technischen
wahrt, um dessen Bedenken offenzuhalten.
Die jeweilige Antwort auf die Frage, was Technik ist,
gibt auch immer zumindest
eine Teilantwort auf die Frage, was ist der Mensch, was ist seine Bestimmung.[2]
Ethymologisch wurzelt der Begriff des Technischen im griechischen techné,
was praktisches
Können, Kunst und Fertigkeit bedeutet. Gemäß
dieser Definition umfaßt das Technische das ganze
Feld menschlicher Praxen
von der Bananenflanke bis zum Schönschreiben. In diesem Sinne ist es zulässig,
von der Technik der Künstlerin ebenso zu sprechen wie von der Technik des
Rechnens, nicht zu verwechseln mit
Rechentechnik. Jene sehen wir eher in datenverarbeitenden
Apparaturen implementiert, wie die meisten von uns das
Technische fraglos im
Reich der Geräte und Maschinen verorten. Das ist der andere Pol der Definition
des
Technischen: das Werkzeug. In dieser Sicht tritt das Technische als Supplement
von Konstruktionen auf, welche quasi als
Verlängerung der Gliedmaßen unseren Möglichkeitsspielraum erweitern. Der Bagger verstärkt
die
Arme, das Fernglas schärft die Augen; in Form von Prothesen ermöglicht
das Technische den Menschen das
Menschenunmögliche: Wir sind schneller
als der Gepard, können Himmel und All durchmessen.
Beide Definitionsangebote scheinen mangelhaft, denn die eine greift zu weit,
die andere zu kurz. Ist
jede menschliche Fertigkeit technischer Natur, wird
das Technische als grundlegend anthropologischer Wesenszug fraglos
und das Denken
des Technischen gelangt an ein rasches, vielleicht vorschnelles Ende. Dieses
Resultat ergibt sich
gleichfalls, wenn das Technische schlichtweg als Werkzeug
begriffen wird. Hier stellt sich in der einzigen Konsequenz
die Frage nach der
begrifflichen Demarkationslinie zwischen Menschen und Tieren, von denen einige
schließlich auch ganz wunderbar werkzeughaft mit Steinen und Ästen
zu hantieren vermögen.
In diesem Spannungsfeld zwischen menschlicher Fertigkeit und Gerätschaft
gibt es auch den Versuch
einer Vermittlung. Hier wird das Technische begriffen
als in Artefakten und Apparaten eingebettete Intelligenz, als
„the application
of organized knowledge to practical tasks by ordered systems of people and machines.”[3]
Vor dem Hintergrund, daß wir – wie man sagt – in einer Wissensgesellschaft
leben, in welcher
Informationen mehr und mehr an Bedeutung gewinnen, könnte
dies eine griffige Arbeitsdefinition sein. Denn sie
schränkt das Technische
nicht auf rein materiell Applizierendes ein und trägt auch dem Aspekt des
Könnens im Sinne des Verstandesgebrauchs Rechnung. Der Wehrmutstropfen
dieser Konzeption: Das Technische wird mit
dem Begriff „Technologie“
gleichgesetzt. Dieser geschickte Schachzug ist vor allem im angelsächsischen
Raum vorgenommen worden, in welchem Technikphilosophie im allgemeinen als „Philosophy
of Technology“
firmiert. Ob damit das Technische adäquat begrifflich
gefaßt wird, bleibt insbesondere angesichts des vagen
Status der eingebetteten
Intelligenz offen.
Bisher ist das Technische nur als Mittel in
den Blick geraten, und allein zweckrationalen
Überlegungen unterworfen. Ein vierter theoretischer Versuch stellt
diesen
Fokus in Frage und gedenkt voran genannte Konzeptionen zu unterlaufen, indem
es das Technische als eine
Perspektive ausweist der Welt gegenüberzutreten.
In diesem Ansatz werden die Formen menschlichen Kulturschaffens,
wie zum Beispiel
die Kunst, als verschiedenartige aber gleichrangige Paradigmen gesehen. Das
Technische ist
demnach eine Weltsicht unter vielen, eine Weise die Welt zu sichten
unter dem Gesichtspunkt der Machbarkeit und des
Produzierens. Dieses Konzept
scheint die Mängel der anderen Begriffsversuche einzufangen, steht und
fällt aber mit der Schlüssigkeit seines pluralistischen Ansatzes.
Da es aber als einziges Konzept versucht,
das Technische explizit kulturell
und sozial zu denken, werden wir hierauf an späterer Stelle noch einmal
zurückkommen.
II
Dem Technischen wird häufig vorgeworfen nicht
„natürlich“
zu sein. Dieses Argument stammt insbesondere aus ökologischen Diskursen.
Hier
wird eine Dichotomie entworfen, die auf der einen Seite eine „reine“
Natur beschwört und im Gegenzug
das Technische als „künstlich“
verteufelt, und welche als illegitim abzuweisen ist.
Selbstverständlich
ist der Gesichtpunkt der Umweltzerstörung eine sehr ernst zu nehmende Gefahr,
aber
nichts typisch modern Technisches. Diese hat der Mensch auch ohne Atomkraftwerk
und Öltanker schon gekonnt in
Szene gesetzt; man wende sich nur der seit
der Antike verkarsteten Mittelmeerküste zu. Darüber hinaus ist
unklar,
was hier „Natur“ bedeuten soll, schließlich steht der Mensch
als Kulturwesen zu dieser
immer in einem begrifflichen Gegensatz. Will man hier
Natur einen intrinsischen Wert zuschreiben und sich nicht in
vagem metaphysischem
oder esoterischem Gefilde bewegen, steht man auf dünnem Boden. Gibt es
so etwas wie
Natur per se, als ein Ding an sich selbst oder ist dieses Naturverständnis
nicht auch nur ein Konstrukt? Zwar ist
für uns das Naturerlebnis ein ästhetisches,
aber das war nicht immer so. Im Mittelalter zum Beispiel waren
Gebirge keine
willkommene Aussicht, sondern wurden im Gegenteil als bedrohlich und ominös
angesehen. Ihr
ästhetisches Wohlgefallen wurde erst im 19. Jahrhundert
„entdeckt”, was nicht überraschend ist,
denn im Prozeß
der Industrialisierung wuchs das Technische in eine neue Dimension, wurde zur
menschlichen
Umwelt, neuen natürlichen, weil alltäglichen, Lebenswelt.
Im Zuge der neuen Künstlichkeit wurde Natur
nur idealisiert, was sie fernab
von der materiellen Existenz von Bergen und Wäldern nicht davon löst,
kontaminiert zu sein von kulturellen und sozialen Verhältnissen. Im übrigen
reproduziert die Rede von
„reiner Natur“ und ihrer „Jungfräulichkeit“
nur jenen Weiblichkeits-Natur-Code, der
seitens patriarchaler Strukturen häufig
genug zur eigenen Machtpräsentation benutzt wird.
III
Dem Technischen wird gemeinhin mit Affirmation oder Ablehnung begegnet.
Einerseits
als Befreier gefeiert, die Menschheitsträume einlöst und fortwährend
den Lebensstandard
erhöht, wird es auf der anderen Seite verdammt als Übel,
das zu Uniformität des Lebens und Entfremdung
führt. Beiden Aspekten
kommt ein Körnchen Wahrheit zu, aber sie verkennen gemeinsam, daß
vom
Technischen als eine Art Ding an sich zu sprechen wenig sinnvoll scheint.
Dieses steht dem Menschen nicht einfach
gegenüber, sondern in einem Verwendungszusammenhang,
der ihm jeweils einen intrinsischen Wert zuweisen. Das
Technische ist immer
schon in unserer Kultur eingebettet und kann deshalb gar nicht neutral in sich
selbst sein,
von Werten abgestreift vorgestellt werden. Ein an das Technische
herangetragene „let me see you stripped“
ist unerfüllbar:
[E]mbedded in every tool is an ideological bias, a predisposition to
construct
the world as one thing rather than another, to value one thing over another,
to amplify one sense or
skill or attitude more loudly than another.[4]
Es gibt keine menschliche Kultur, die frei ist vom
Technischen. Kultur gründet
immer auch schon im Technischen oder das Technische in der Kultur. Damit ist
es
je schon sozial konfiguriert und kann somit nicht wertneutral sein, wie die
ApologetInnen gern bekräftigen. Ein
Argument für die VerteuflerInnen
ist es allerdings auch nicht. Daß das Technische nicht wertneutral ist,
heißt schlichtweg, es in Relation zum Sozialen zu sehen, denn längst
schon läßt sich der
gesellschaftliche Raum als soziotechnischer charakterisieren.
Das Technische ist immer in einen Verwendungszusammenhang
gebettet, der sozialer
Natur ist, eingebunden. Jede faktische Ausprägung des Technischen trägt
stets
ein Normierungsgebot in sich, ist durch besondere Prämissen vorstrukturiert,
seien sie Weltanschauungen,
Lebensstil oder Geschlecht. Das zeigt sich schon
am oft bemühten „Ottonormalverbraucher“, welcher
schließlich
nichts anderes ist als das Synonym für: männlich, weiß, Mittelklasse.
Und warum
zum Beispiel gibt es Jahrzehnte nach der Entwicklung der Pille für
Frauen noch immer keine wirklich
funktionierende für den Mann?
Wie alles menschliche Handeln so zielt auch das Technische
darauf, die Welt
zu interpretieren. Ihm wohnt eine Weltsicht inne, ein spezifischer Zugang, die
Welt zu
verstehen. So wie das Technische die Erfahrung transformiert, übt
sie gleichfalls einen Einfluß auf die
kulturelle Wahrnehmung aus. Wir
wollen uns deshalb dem Verwendungszusammenhang zuwenden, in welchem das Technische
steht, seiner Eingebettetheit in Kultur und Gesellschaft. So soll im Nachfolgenden
das Technische befragt werden nach
seiner Relation zur ökonomischen Dimension,
in Bezug auf Abhängigkeitsverhältnisse und nach der
menschlichen Adaption
und damit der Einwirkung auf die Lebenswelt. Diese Aspekte sind natürlich
miteinander
verzahnt und werden hier aufgrund der Einsehbarkeit – quasi
aus technischen Gründen – nacheinander
betrachtet.
IV
Aber wenn man einem Volk durch Reklame Kaugummi
angewöhnen kann, warum
nicht auch Krebsforschung und Raumsonden?[5]
Wir leben in einer
Technokultur, „which intimately interconnects science
and technology with industrial capitalism.”[6] Damit
öffnet sich
in der Frage nach dem Technischen auch eine ökonomische und eine politische,
beziehungsweise eine ökonomisch-politische Dimension. In dieser spielt
für gewöhnlich der Begriff der
Macht eine Rolle. Die Frage nach dieser
macht in bezug auf das Technische als Ganzes selbstverständlich keinen
Sinn, denn als menschliche Kulturleistung haben begrifflich alle Menschen an
ihm teil. Betrachtet man aber den
Aspekt der Apparaturen und des technischen
Wissens, dann trifft man auch hier auf „the old problem of the many
under
the domination of a few:
industries which have accumulated political and economic power
through the
development, marketing and use of technology are out of the control of individuals
and their
governments.[7]
Technologien zu besitzen, zu entwickeln und einzusetzen bedeutet in einer
Machtposition
zu sein. Das schlägt sich in der zunehmenden Monopolisierung von Wissen
bis hin zur
Patentierung genetischer Codes nieder, ist dokumentiert durch hoch
komplizierte Sicherheitssysteme und elitäre
Zugriffshierarchie. Besonders
deutlich wird dieser Aspekt anhand der Versorgungsindustrien, die zum Beispiel
Kraftstoff oder Elektrizität produzieren. Auch auf der Ebene der internationalen
Politik zeigt sich eine
Verbindung von Macht und dem Technischen. So wird dieses
im Namen der Entwicklungshilfe oder im Zuge von Embargos als
Druckmittel verwendet.
Ferner läßt sich die Macht des Technischen einsehen an der Art, wie
der Besitz
von Nukleartechnik die Art der internationalen Politik verändert,
wie der Diskurs um die plötzlich zu
Atommächten gereiften Länder
Indien und Pakistan zeigte.
...den Zweck, die
Ursachen des Naturgeschehens zu ergründen, die geheimen
Bewegungen in den Dingen und die inneren Kräfte der
Natur zu erforschen
und die Grenzen der menschlichen Macht so weit auszudehnen, um alle möglichen
Dinge zu
bewirken.[8]
Seit Anbruch der Neuzeit wurde das Technische ausgewiesen als Instrument die
Lebensverhältnisse zu verbessern. Diese Vorstellung hält an und technischer
Fortschritt im Namen der
allgemeinen Wohlfahrt ist politisch wie ökonomisch
gewollt. Den bescheidenen Interpretationsleistungen
bezüglich der Begriffe
des „guten Lebens“ und „Fortschritts“ zum Trotz wird
unermüdlich Neues entwickelt und produziert. „Erkenntnisproduktion
zur Produktionssteigerung“ lautet
die Formel der Hochzeit von Ökonomie
und Wissenschaft. Sie hat sich insbesondere im Bereich technischer
Innovationen
gebärfreudig niedergeschlagen. Im „gigantischen Weichselzopf ökonomisch-intellektueller
Verfilzungen“[9] hat das Technische einen fruchtbaren Nährboden gefunden.
In einem erstaunlichen
Wechselverhältnis ziehen Erfindungen Nutzen aus
wissenschaftlicher Forschung, während diese auf technischen
Apparaten basiert.
Und die ökonomische Perspektive bestimmt die Richtung von Entwicklung und
Forschung. Weil
man es kann, wird etwas produziert, Wünsche und Bedürfnisse
erzeugt, um Absatzmärkte aufzutun. Das
Technische verliert den Status des
reinen Mittels zum Zweck und dieses Verhältnis tritt in neuer Gestalt auf,
ist „dialektisch-zirkulär“:
Zwecke, die zunächst und vielleicht
zufällig durch Tatsachen technischer
Erfindung erzeugt wurden, werden zu Lebensnotwendigkeiten, wenn sie erst
einmal
der sozialökonomischen Gewohnheitsdiät einverleibt sind, und stellen
dann der Technik die
Aufgabe, sich ihrer weiter anzunehmen und die Mittel zu
ihrer Verwirklichung zu vervollkommnen.[10]
Selbstverständlich läßt sich in einer gewissen Hinsicht davon
sprechen, daß das
Technische das Leben verbessert, vereinfacht, verlängert
hat. Gleichzeitig muß aber die stetig zunehmende
technische Einflußnahme
auf alle persönlichen und gesellschaftlichen Bereiche betont werden. Zum
Beispiel hat der sogenannte „technologische Fortschritt“ mehr Arbeitsplätze
vernichtet als geschaffen
und das ist in ökonomischer Perspektive nur folgerichtig.
Gesellschaftspolitisch ist diese Entwicklung vielleicht
anders zu bewerten,
selbst wenn es sich bei den entfallenen Beschäftigungen gewiß nicht
um Traumberufe
gehandelt hat. Denn der entwicklungsmotivierende Traum vom Schlaraffenland,
in dem nur die Maschinen arbeiten und sich
alle Menschen in poetischen Freuden
ergehen, scheint in Bälde noch nicht umsetzbar zu sein. Derweil dreht sich
das ökonomische Glücksrad und wirft all jenes – vorzugsweise
Technisches – auf den Markt,
das sich als kommerzialisierbar, weil konsumierbar,
erweist. Diesem Prozeß wohnt die Veralterung der Produkte
wesentlich inne,
weil es ein Charakteristikum technischer Erzeugnisse ist, übertroffen zu
werden. Der Kunde
Mensch darf sich an den immer neuen Errungenschaften erfreuen
und Kants „Ewigen Frieden“ in
fortwährender Konsumspirale verwirklicht
erfahren. Mag die Aufklärung die Welt tatsächlich entzaubert
haben,
so hat sich an die Leerstelle von Mythos und Religion der kalkulierende Verstand
selbst gestellt. Und mit
ihm ein naiver Fortschrittsglaube, der zum herrschenden
Denkparadigma gerierte und allein durch zwanghaft
vorangetriebene Technisierung
und Durchrationalisierung seine Legitimität suggeriert.
V
Menschen haben geurteilt, ein König könne Regen machen; wir sagen,
dies widerspreche aller Erfahrung. Heute urteilt man, Aeroplan, Radio etc. seien
Mittel zur Annäherung der
Völker und Ausbreitung von Kultur. [11]
Das Technische besitzt planetare Ausbreitung und
scheint alle Bereiche tief
durchdrungen zu haben. Im Anschwellen der vom Technischen konstituierten
Interdependenzketten
ist kein Ende abzusehen. Die allumspannenden technischen Netzwerke werden manchen
zum
Zeichen unserer Ohnmacht. Das Technische ist zur Institution geworden, hat
Institutionen ausgeprägt, die von
einzelnen oder Gruppen nicht zu steuern
sind. Ferner haftet dem Technischen ein Moment des Unausweichliches an.
Wußte
Daidalos noch um die Gefahr seiner Erfindung – auch wenn sein Sohn diese
nicht ernst nahm
–, so sind uns heute die oft irreversiblen Konsequenzen
nicht mehr überschaubar. Es scheint, als habe die
Befreiung des Menschen
von Naturzwängen durch das Technische andere, eben Zwänge des Technischen
geboren. „Die Dienstfunktion verwandelt sich in eine Herrschaft eigener
Art, nämlich in
Technokratie.“[12] Sowohl die vorhergesagten apokalyptischen
Szenarien zur Jahrtausendwende, als auch die
unzähligen Anstrengungen diese
zu verhindern zeigen, wie sehr wir von Technologie abhängen.
Selbstverständlich
können viele Negativeffekte einer Technikeinführung durch technische
Lösungen neutralisiert werden. So wie die Wellen der Vogelgrippe zur medizintechnischen
Aufgabe wurden, welche
sich nur deshalb entstehen und rasch in Südostasien
ausbreiten konnten, weil sich dort ein Wechsel zur modernen
agrarischen Industrie
vollzieht. Wenn aber eine Power-Point-Präsentation in einer UN-Versammlung
ausreicht,
Argument genug ist einen Krieg vom Zaun zu brechen, gewinnt unsere
Dependenz vom Technischen etwas
Gespenstisches.
Um ein Beispiel zu geben, wie sehr das Technische die Gesellschaft formen kann,
braucht man nur an den enormen Einschlag denken, den die Erfindung des Automobils
gehabt hat: Straßen
mußten gebaut und Landschaften restrukturiert
werden; neue Industriezweige erwuchsen, wie die Ölindustrie,
welche zu
einer der mächtigsten Lobbys weltweit wurde; administrative Institutionen
wurden gegründet,
die beschäftigt sind mit der Registrierung von Fahrzeugen
und Haltern, Versicherungen und
Straßenbaubürokratie; ein zusätzlicher
Sektor um Steuern zu verwenden tat sich auf; und in Form von
Verkehrsunfällen
– von Umweltverschmutzung und -zerstörung gar nicht zu sprechen –
zeigte
sich eine neue Gefahr für das tägliche Leben. Rilke schrieb
über das Paris der Zwanziger
Jahre:
Die absurde Gefahr der Straßenübergänge verändert die
freie und
eben auch irgendwie ländliche Beweglichkeit, in der man sich
sonst gehen lassen durfte, man ist wirklich zwanzig
bis hundert Mal täglich,
sowie man das Trottoir verläßt, ein zum Tode Verurteilter, der dann
immer im letzten Moment durch einen agent de ville seine vorläufige Begnadigung
erfährt.[13]
VI
Ich wollte, ich wäre ein Turmkran. [14]
Wir
hausen in technomorpher Umgebung. Versteht sich der Mensch immer aus seiner
Lebenswelt heraus, dann muß das
Technische als solcherlei Medium gedacht
werden, denn wir haben uns im Technodrom eingerichtet. Welcherart nun ist
diese
Weltauslegung und wie schlägt sie sich im menschlichen Selbstverständnis
nieder?
Dem Technischen unterliegt ein totalisierender Wesenszug, die Tendenz, alles
dem technischen Zugriff
auszuliefern, unter die Nutzungsperspektive zu stellen.
Diese Tendenz spricht Heidegger an, wenn er vom
„Ge-stell“ raunt.
Für ihn hat sich in unserem Zeitalter „eine Umwälzung aller
maßgebenden Vorstellungen“ vollzogen:
Daraus erwächst eine völlig neue
Stellung des Menschen in der Welt
und zur Welt. Jetzt scheint die Welt wie ein Gegenstand, auf den das rechnende
Denken seine Angriffe ansetzt, denen nicht mehr soll widerstehen können.
Die Natur wird zu einer riesenhaften
Tankstelle, zur Energiequelle für
die moderne Technik und Industrie.[15]
Die
hegemoniale Stellung der technischen Weltauslegung blendet andere mögliche
Weltzugänge aus. Unter diesem
Paradigma der Exploration verwandelt sich
das soziale Gesichtsfeld in ein technisches Raster, in welchem die ganze
Welt,
die Menschen inbegriffen, als Ressourcenquelle erscheinen. Vom Technischen durchwaltet
schlagen wir alles
seinem Herrschaftsbereich zu: die Welt, die Natur, unsere
Lebenswelt, uns selbst: Wir sprechen von Rohstoffgewinnung,
wenn wir eigentlich
die Umwelt zerstören, oder von Arbeitskraft und Humankapital und meinen
eigentlich
Menschen. Das Technische ist das vornehmliche Medium menschlicher
Selbstauslegung geworden; wir ordnen unser Weltbild
nach den Kategorien eines
technisch-wissenschaftlichen Rahmens. In diesem Modus ist Effektivität
der
höchste Wert, das Maß, dem alles unterliegt. Diese Reduktion
auf die Ebene des Funktionierens führt zur
lebensweltlichen Eindimensionalität.
Im täglichen Sprachspiel zumindest hat sich La Mettries lapidarer Befund
durchgesetzt: „Der Mensch eine Maschine“. Im „Walten und Schalten“
„funktionieren“ wir, arbeiten manchmal im „Leerlauf“,
fehlt uns der „Antrieb“, oder
sind komplett „ausgebrannt“.
Wir quantifizieren Charakter und Intelligenz, um diese auch den Apparaten
zuzuschreiben.
Die Subjekte des technischen Fortschritts sind auch zu seinen Objekten geworden.
Denn mit diesem geht die Adaption des Menschen einher, denn es scheint leichter
zu sein, jenen an das Technische
anzupassen als vice versa. Weil moderne Technologien
auf numerischen Codes basieren, müssen wir uns unzählige
Zahlenfolgen
merken, obwohl unser Gedächtnis gerade mit diesen die größten
Probleme hat. Und wer
weiß heute noch, daß in der uns so vertrauten
Buchstabenanordnung der QWERTY-Tastatur die
gebräuchlichsten Buchstaben
gerade deshalb am weitesten auseinanderstehen, damit einstmals die Arme in der
Schreibmaschine nicht verklemmten? So unterziehen wir uns der Konditionierung,
um mit dem Technischen hantieren zu
können. Bedienungsanleitungen lenken
unser Handeln. Der Mensch als User wird zum
„Automatenhirten“.[16]
[S]olange der Mensch nicht selbst nicht systemgerecht
‚funktioniert’,
ist das System weiterhin von Dysfunktionalität bedroht. Der Mensch,
‚menschliches
Versagen’, ist gleichsam ein Außerhalb des Systems im Zentrum des
Systems selbst.
Insofern enthält Technik immer die Tendenz, auch das Subjekt
von Technik selbst als ‚Bestand’ in das
System zu integrieren und
zu einem fungiblen Objekt zu machen, es zu verdinglichen. [17]
VII
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.
Du Häßlicher,
Du bist der Schönste!
Tue uns Gewalt an,
Du
Sachlicher!
…
Und Du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch
unerforschlich,
Sondern nach Berechnung.
…
Darum erhöre uns,
Und
erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung,
Der Ratio und der
Statistik!
[18]
Im Fragen nach der Technik haben wir versucht, das Technische zu
umkreisen
und den sozio-technischen Raum zu durchmessen. Dabei haben wir einige Male aufgesetzt,
sind
aufgeschrammt und haben dabei zumindest an der Oberfläche gekratzt.
Worin nun liegt der heuristische Mehrwert
dieses Blindflugs? Soviel ist offenbar
geworden, daß sich das Technische nur im Verhältnis zum Sozialen
denken läßt, und ihr Verhältnis in einem wechselseitigen Bedingen
besteht. Dieses Verhältnis, so
scheint sich abzuzeichnen, wird nicht immer
erkannt und das Technische fraglos zu Mittel und Neutrum erklärt. Ob
dieser
Aspekt des Verschleierns dem Technischen zu eigen ist, bleibt offen und bedenkenswert.
Our technologies […] speak silently, covertly, and are seldom seen as
central to political or
cultural discourse. [19]
Das Technische trägt Werte in sich. Wessen Werte dies sind, ist die
zu
stellende Frage. Insbesondere die Rolle des Technischen im Flechtwerk von Politik
und Ökonomie sollte
tiefere Analyse erfahren und hierbei erörtert
werden, inwieweit politische Entscheidungen einer
Ingenieursperspektive unterliegen
und von technisch-wirtschaftlichen Überlegungen abhängen. Das alles
soll und kann gar nicht dazu führen, das Technische per se zu verdammen.
Das Technische gehört zu unserer
Welt, ist eine unserer Lebensformen und
nicht nur faktisch, sondern grundlegend nicht weg zu denken. Anderseits gilt
es, nicht der Hybris zu verfallen, daß im Technischen aller Probleme Lösung
liegt. Denn dieses ist
dialektisch wie alles menschliche Handeln und bringt
Effekte mit sich, die den sozio-politischen Rahmen, die
gesellschaftlichen Lebensverhältnisse
in radikaler und unwiderruflicher Weise verändern können. Ist
unsere
Technokultur von der Tendenz gezeichnet, sozio-politische Themen auf technische
zu reduzieren, dann lautet
die entscheidende Frage, ob die technische Entwicklung
letztlich ein Zweck in sich selbst sein darf, ob Effizienz
über Ziele herrschen
sollte und alles in der Welt zu einem Objekt menschlicher Vernutzung zu reduzieren
sei.
Mit einer Totalisierung des Technischen wird allem anderen die Lebensluft
geraubt, und es bleibt zu bedenken, was
verloren ginge im Zuge einer solchen
Reduktion der Weltauslegung und Reifikation des menschlichen
Selbstverständnisses.
Schon der technisch vernarrte Bacon hat auf die Gefährlichkeit
solcher
Absolutsetzung hingewiesen, als er sinngemäß schriebt: „Technik
heißt, auf ein
tieferes Verständnis unseres Tuns verzichten und das
tun, was funktioniert.“ Die in unserer Ära
verbreitete Vorstellung,
daß das Technische sinnstiftend sein kann und in seinem Bereich die Fragen
beantwortet werden, welche das Leben an uns stellt, ist irrig. Die technischen
Be-Schreibungen der Welt reichen nicht
hin, weil zu kurz greifen. Denn „[d]as
bloß technische Denken der kleinen Schritte […] verdeckt die
Tatsache,
dass in diesem Denkformat der Rahmen des eigenen Lebens und Tuns nicht bedacht
werden kann.“[20]
Die Fragen nach Freiheit, Verantwortung, Risiko und
Mitbestimmung stehen auch zukünftig zur Erörterung. Und
diese kann
nur vollzogen werden, wenn wir uns die Pluralität der Weltzugänge
offen halten und das
Denken „sub specie machinae“[21] nicht zur
Zentralperspektive erklären. Denn dieses hieße nichts
anderes als
das Entgleiten des Menschseins im Sinne des Denkens an den Menschen.
„Ach“, sagte die Maus. „Die Welt wird enger mit jedem Tag.
Zuerst war sie so breit,
daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war
glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne
Mauern sah,
aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon
im letzten bin, und
dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“
– „Du mußt nur die Laufrichtung
ändern“, sagte
die Katze und fraß sie. [22]
Anmerkungen
[1] NIETZSCHE, Friedrich: Menschlich,
Allzumenschliches; II. S. 278.
[2] FISCHER, S. 9.
[3]
BARBOUR, S. 3.
[4] POSTMAN, S. 13.
[5] CHARGAFF, S.
24.
[6] TILES / OBERDIEK, S. 111.
[7] Ebd., S. 28.
[8] BACON, S. 43.
[9] CHARGAFF, S. 21.
[10] JONAS, S. 77.
[11] WITTGENSTEIN,Ludwig: Über Gewißheit
(1969); in: Schriften 8;
Frankfurt / Main 1971; § 132.
[12] WALDENFELS, S.
203.
[13] Zitiert nach WANDSCHNEIDER, S. 87.
[14]
MÜLLER, Heiner: Werke 3 – Die Stücke 1; Frankfurt / Main
2000; S. 38.
[15] HEIDEGGER 1955, S. 523.
[16] Vgl. ANDERS
[17] WANDSCHNEIDER, S. 123.
[18] BRECHT, Bertold: 700 Intellektuelle
beten einen Öltank an. Zitiert
nach: www.sozialistische-klassiker.org/Brecht/ Brecht15html.
[19] TILES / OBERDIEK, S. 125.
[20] STEKELER-WEITHOFER, S.
68.
[21] RAPP, S. 70.
[22] KAFKA, Franz: Kleine Fabel. In:
Kafka. Werke. Bd. 1. Dreieich 2000, S.
275.
Literatur
BACON, Francis [1627]: Neu-Atlantis. Stuttgart 2003.
BARRETT, William: The
Illusion of Technique – A Search for the Meaning
of Life in a Technological Age. London 1978.
CASSIERER, Ernst [1930]: Form und Technik. In: ORTH / KROIS, S. 39-91.
CHARGAFF, Erwin: Allmacht und Ohnmacht der Naturwissenschaften – Bemerkungen
zur
Wissenschaftsindustrie unserer Zeit . In: LÖW, S. 13-25.
EURICH, Claus: Mythos Multimedia
– Über die Macht der neuen Technik.
München 1998.
FISCHER, Peter:
Philosophieren über Technik. In: DERS.(Hg.): Technikphilosophie.
Leipzig 1996, S. 7-13.
HEIDEGGER, Martin [1954]: Die Frage nach der Technik. In: GA Bd. 7 Frankfurt
a. Main 2000, S.
7-36.
HEIDEGGER, Martin [1955]: Gelassenheit. In: GA Bd. 16; Frankfurt
a. Main 2001, S.
517-29.
HILDEBRANDT, Helmut: Weltzustand Technik. Berlin 1990.
IHDA, Don:: Technology and the Lifeworld – From Garden to Earth. Bloomington-Indianapolis
1990.
JONAS, Hans: Philosophisches zur modernen Technologie. In: LÖW, S. 73-95.
LÖW, Reinhard (Hg.): Fortschritt ohne Maß? Eine Ortsbestimmung der
wissenschafts-technischen Zivilisation; München 1981.
MITTELSTRASS, Jürgen: Die
moderne Welt und die Geisteswissenschaften. In:
PUTLITZ / SCHADE, S. 17-34.
ORTH, Ernst
Wolfgang / KROIS, J.(Hg.): Symbol, Technik, Sprache. Hamburg 1985.
POSTMAN, Neil: Technopoly
– The Surrender of Culture to Technology. New
York 1993.
PUTLITZ, Gisbert Frhr. zu
/ SCHADE, Diethard (Hg.): Wechselbeziehungen: Mensch
– Umwelt – Technik. Stuttgart 1997.
RAPP, Friedrich 1994: Die Dynamik der modernen Welt. Hamburg.
ROBERTSON,
George (Hg.): FutureNatural – nature, science, culture. London-New
York 1996.
SCHACHTNER, Christina 1997: Die Technik und das Soziale. In: DIES. (Hg.): Technik
und
Subjektivität. Frankfurt a. Main 1993, S. 7-25.
SCHIRMACHER, Wolfgang: Ereignis Technik.
Wien 1990.
SOPER, Kate: Nature / “nature”. In: ROBERTSON, S. 22-34.
STEKELER-WEITHOFER, Pirmin: Was heißt Denken? – Von Heidegger über
Hölderlin
zu Derrida. Bonn 2004.
TILES, Mary / OBERDIEK, Hans: Living in a Technological Culture –
Human
Tools and Human Values. London-New York 1995.
WALDENFELS, Bernhard: Umdenken der
Technik. In: ZIMMERLI, S. 199-211.
WANDSCHNEIDER, Dieter: Technikphilosophie. Bamberg
2004.
ZIMMERLI, Walther Ch. (Hg.): Technologisches Zeitalter oder Postmoderne? München
1988.