Im Interview: Geert-Lueke Lueken
EiGENSiNN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an der Uni
Leipzig bezüglich
Lehrmöglichkeiten des Personals?
LUEKEN: Die Lehrsituation an der Uni Leipzig kann ich nur
aus meiner
Perspektive beurteilen. Was Lehrinhalte und Methoden betrifft, so
habe ich
weitgehende Freiheit. Das ist gut so. Allerdings werden
die Möglichkeiten zur Gestaltung der Lehre
zunehmend durch
das Bestreben behindert, die Studierenden, ihre Teilnahme und Leistung
zu
kontrollieren. Verstärkt wird diese Tendenz wohl noch durch
die angestrebte "Modulisierung"
der Studiengänge.
Das alles macht nicht nur Arbeit, sondern wirkt sich auch auf die
Haltung, die Motivation und die Lerngründe aus. Die Gefahr
ist, dass es immer mehr um das
Bewältigen "formaler"
Kriterien geht und den Studierenden immer weniger Platz und Zeit
bleibt, ihre eigenen philosophischen Fragestellungen zu finden,
zu entwickeln und zu verfolgen.
Erschwerend ist natürlich auch
die zunehmende Zahl der Studierenden. Dadurch ist ein persönlicher
philosophischer Austausch kaum noch möglich. Die Schüchternen
und
Zurückhaltenderen bleiben oftmals auf der Strecke, d.h.
sie haben es sehr schwer, Anschluss an den
Diskurs zu finden. Besonders
unangenehm sind zudem die Räumlichkeiten, die oft zu klein
sind, kein natürliches Licht haben, keine oder eine zu laute
oder eine kontraproduktive Klimaanlage
haben usw. In der Vorlesung
zur Didaktik der Philosophie und Ethik sind wir z.B. mit über
100 Leuten in SG 00/99, einem fensterlosen Raum ohne Lüftungsmöglichkeiten
und ohne
Klimaanlage, in dem für viele die Sicht durch eine
breite Säule versperrt ist. Da wird man
schnell müde und
leidet unter Schweißausbrüchen. Und ein anderer Hörsaal
ist zu der Zeit nicht frei.
EiGENSiNN: Würden Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen
für ein Studium in Leipzig entscheiden ?
LUEKEN: Ich denke, was unser Fach
betrifft, ist Leipzig immer noch
ein attraktiver Studienort. Zwar haben wir die in der ersten Frage
angesprochenen Probleme, aber die haben andere Unis auch, jedenfalls
die in den
größeren Städten. Wir haben m.E. insgesamt
ein durchaus vielfältiges Lehrangebot und
fachlich kompetente
Leute in der Philosophie und Ethik. Auch haben wir immer wieder
interessante Gäste am Institut, im Kolloquium, in Workshops,
oder als Leibnizprofessor etc., was auch
den Studierenden die Möglichkeit
gibt, andere Philosophinnen und Philosophen kennen zu lernen.
Außerdem
ist die Stadt Leipzig sicherlich ein kulturell und "szenemäßig"
attraktiver Ort für ein Studentenleben.
EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie bewogen
Philosophie zu studieren?
LUEKEN Auf die Philosophie bin ich hauptsächlich durch die
Schule gekommen, durch den Deutsch- und Gemeinschaftskundeunterricht
einerseits, aber auch durch
das Fach Philosophie, das wir Anfang
der 70er Jahre in Schleswig-Holstein in der Oberstufe bekamen. Wir
hatten damals einen, wie ich meine, recht anspruchsvollen Unterricht
in Philo. Es wurde
jeweils ein ganzes Schulhalbjahr ein Thema behandelt.
Besonders erinnere ich mich an das Thema
"Sprachphilosophie".
Wir hatten in Kleingruppen zu Hause Referate über ganze Bücher
vorzubereiten, darunter etwa von B. L. Whorf "Sprache, Denken,
Wirklichkeit"
und ein marxistisches Werk (ich glaube von Adam
Schaff). Meine Gruppe hatte das Buch "Analytische
Philosophie"
von Eike von Savigny zu bearbeiten. Wir haben Dinge diskutiert wie
die
Russellsche Antinomie und sind mit Wittgenstein und Ryle konfrontiert
worden. Dabei ist dann irgendwann der
Funke übergesprungen,
so dass mir bald klar war, dass ich Philosophie studieren möchte.
Ein anderes Fach habe ich nie ernsthaft in Erwägung gezogen.
EiGENSiNN: Wie ist Ihr
Bild von den Studierenden heute und inwiefern
hat es sich in den letzten zehn Jahren
verändert?
LUEKEN: In der Anfangszeit - ich bin seit Ende 1993 in Leipzig
-
war vieles noch vom Wandel und der Übergangszeit geprägt.
Viele Studierende waren im alten System
aufgewachsen, manche waren
desorientiert, andere verspielt oder ironisch. Vieles wurde nicht
Ernst genommen, aber es gab auch große Neugier. Als Wessi
wurde man auf die Probe gestellt,
während dieses Thema heute
keine zentrale Rolle mehr zu spielen scheint. Heute sind die Studierenden
nach meinem Eindruck etwas ernster geworden und versuchen auch nicht,
die
"Autorität" der Dozentinnen und Dozenten in Frage
zu stellen. Aber sie wissen meistens viel
genauer, was sie wollen.
Dabei scheint die Konkurrenz um Anerkennung wichtiger geworden zu
sein. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Studierenden sich
zum Teil gegenseitig "doof"
finden. Andererseits scheint
die Bereitschaft, sich auch politisch zu engagieren und die Uni
als einen Ort zu verstehen, an dem dies stattfinden kann, zugenommen
zu haben. Aber vielleicht
täuscht der Eindruck.
EiGENSiNN: Hat sich Ihrer Meinung nach die Studiensituation für
Lehramtsstudenten nach Herausgabe der neuen Studienordnung gebessert?
LUEKEN: Es
kommt drauf an, in welcher Hinsicht. Zugenommen haben
die "Pflichtveranstaltungen" und leider
auch die Unklarheiten,
was wie zu belegen ist. Und wie bei jeder Änderung dieser Art
gibt es Übergangsschwierigkeiten. Verbessert haben sich allerdings
die Chancen, als Lehrer für
Ethik/Philosophie auch außerhalb
Sachsens eine Stelle zu bekommen. So heisst es jedenfalls. Hoffen
wir, dass es stimmt.
Dr. Lueken ist Mitarbeiter am
Institut für Philosophie an der Universität Leipzig