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Erschienen in: Ausgabe #1 vom Juli 2003



Im Interview: Geert-Lueke Lueken

EiGENSiNN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an der Uni Leipzig bezüglich Lehrmöglichkeiten des Personals?

LUEKEN: Die Lehrsituation an der Uni Leipzig kann ich nur aus meiner Perspektive beurteilen. Was Lehrinhalte und Methoden betrifft, so habe ich weitgehende Freiheit. Das ist gut so. Allerdings werden die Möglichkeiten zur Gestaltung der Lehre zunehmend durch das Bestreben behindert, die Studierenden, ihre Teilnahme und Leistung zu kontrollieren. Verstärkt wird diese Tendenz wohl noch durch die angestrebte "Modulisierung" der Studiengänge. Das alles macht nicht nur Arbeit, sondern wirkt sich auch auf die Haltung, die Motivation und die Lerngründe aus. Die Gefahr ist, dass es immer mehr um das Bewältigen "formaler" Kriterien geht und den Studierenden immer weniger Platz und Zeit bleibt, ihre eigenen philosophischen Fragestellungen zu finden, zu entwickeln und zu verfolgen. Erschwerend ist natürlich auch die zunehmende Zahl der Studierenden. Dadurch ist ein persönlicher philosophischer Austausch kaum noch möglich. Die Schüchternen und Zurückhaltenderen bleiben oftmals auf der Strecke, d.h. sie haben es sehr schwer, Anschluss an den Diskurs zu finden. Besonders unangenehm sind zudem die Räumlichkeiten, die oft zu klein sind, kein natürliches Licht haben, keine oder eine zu laute oder eine kontraproduktive Klimaanlage haben usw. In der Vorlesung zur Didaktik der Philosophie und Ethik sind wir z.B. mit über 100 Leuten in SG 00/99, einem fensterlosen Raum ohne Lüftungsmöglichkeiten und ohne Klimaanlage, in dem für viele die Sicht durch eine breite Säule versperrt ist. Da wird man schnell müde und leidet unter Schweißausbrüchen. Und ein anderer Hörsaal ist zu der Zeit nicht frei.

EiGENSiNN: Würden Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen für ein Studium in Leipzig entscheiden ?

LUEKEN: Ich denke, was unser Fach betrifft, ist Leipzig immer noch ein attraktiver Studienort. Zwar haben wir die in der ersten Frage angesprochenen Probleme, aber die haben andere Unis auch, jedenfalls die in den größeren Städten. Wir haben m.E. insgesamt ein durchaus vielfältiges Lehrangebot und fachlich kompetente Leute in der Philosophie und Ethik. Auch haben wir immer wieder interessante Gäste am Institut, im Kolloquium, in Workshops, oder als Leibnizprofessor etc., was auch den Studierenden die Möglichkeit gibt, andere Philosophinnen und Philosophen kennen zu lernen. Außerdem ist die Stadt Leipzig sicherlich ein kulturell und "szenemäßig" attraktiver Ort für ein Studentenleben.

EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie bewogen Philosophie zu studieren?

LUEKEN Auf die Philosophie bin ich hauptsächlich durch die Schule gekommen, durch den Deutsch- und Gemeinschaftskundeunterricht einerseits, aber auch durch das Fach Philosophie, das wir Anfang der 70er Jahre in Schleswig-Holstein in der Oberstufe bekamen. Wir hatten damals einen, wie ich meine, recht anspruchsvollen Unterricht in Philo. Es wurde jeweils ein ganzes Schulhalbjahr ein Thema behandelt. Besonders erinnere ich mich an das Thema "Sprachphilosophie". Wir hatten in Kleingruppen zu Hause Referate über ganze Bücher vorzubereiten, darunter etwa von B. L. Whorf "Sprache, Denken, Wirklichkeit" und ein marxistisches Werk (ich glaube von Adam Schaff). Meine Gruppe hatte das Buch "Analytische Philosophie" von Eike von Savigny zu bearbeiten. Wir haben Dinge diskutiert wie die Russellsche Antinomie und sind mit Wittgenstein und Ryle konfrontiert worden. Dabei ist dann irgendwann der Funke übergesprungen, so dass mir bald klar war, dass ich Philosophie studieren möchte. Ein anderes Fach habe ich nie ernsthaft in Erwägung gezogen.

EiGENSiNN: Wie ist Ihr Bild von den Studierenden heute und inwiefern hat es sich in den letzten zehn Jahren verändert?

LUEKEN: In der Anfangszeit - ich bin seit Ende 1993 in Leipzig - war vieles noch vom Wandel und der Übergangszeit geprägt. Viele Studierende waren im alten System aufgewachsen, manche waren desorientiert, andere verspielt oder ironisch. Vieles wurde nicht Ernst genommen, aber es gab auch große Neugier. Als Wessi wurde man auf die Probe gestellt, während dieses Thema heute keine zentrale Rolle mehr zu spielen scheint. Heute sind die Studierenden nach meinem Eindruck etwas ernster geworden und versuchen auch nicht, die "Autorität" der Dozentinnen und Dozenten in Frage zu stellen. Aber sie wissen meistens viel genauer, was sie wollen. Dabei scheint die Konkurrenz um Anerkennung wichtiger geworden zu sein. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Studierenden sich zum Teil gegenseitig "doof" finden. Andererseits scheint die Bereitschaft, sich auch politisch zu engagieren und die Uni als einen Ort zu verstehen, an dem dies stattfinden kann, zugenommen zu haben. Aber vielleicht täuscht der Eindruck.

EiGENSiNN: Hat sich Ihrer Meinung nach die Studiensituation für Lehramtsstudenten nach Herausgabe der neuen Studienordnung gebessert?

LUEKEN: Es kommt drauf an, in welcher Hinsicht. Zugenommen haben die "Pflichtveranstaltungen" und leider auch die Unklarheiten, was wie zu belegen ist. Und wie bei jeder Änderung dieser Art gibt es Übergangsschwierigkeiten. Verbessert haben sich allerdings die Chancen, als Lehrer für Ethik/Philosophie auch außerhalb Sachsens eine Stelle zu bekommen. So heisst es jedenfalls. Hoffen wir, dass es stimmt.


Dr. Lueken ist Mitarbeiter am Institut für Philosophie an der Universität Leipzig