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Erschienen in: Ausgabe #1 vom Juli 2003



Im Interview: Weyma Lübbe

EiGENSiNN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an der Uni Leipzig bezüglich Lehrmöglichkeiten des Personals?

LÜBBE: Zahlreiche Veranstaltungen, meist Proseminare, sind überfüllt. Das geht vor allem zu Lasten der schwächeren Studierenden - derjenigen, die noch wenig selbständig, wenig vorgebildet, oft auch weniger spezifisch motiviert und zunächst sehr zurückhaltend mit eigenen Wortmeldungen sind. Philosophieren lernt man aber nicht durch blosses Zuhören; selbständiges Weiterdenken und auch selbständiges Formulieren will geübt sein. In überfüllten Veranstaltungen ist eine gezielte Förderung der Zurückhaltenderen praktisch nicht möglich. Für Dozenten, die die "schweigende Mehrheit" ungern einfach ausblenden, ist das anstrengend. Auch in kleineren Seminaren wird das Lehren und Lernen schwierig, wenn die Zielsetzungen und/oder Kompetenzen der Teilnehmer sehr heterogen sind. Das gilt zum Teil für die Studienzwecke von Magister- und Lehramtsstudierenden, es gilt natürlich für das Verhältnis der "Donnerstagler" (Weiterbildung) zu den grundständig Studierenden, aber auch für Haupt- und Nebenfachstudierende. Ich habe mit geschlossenen Seminaren (z.B. nur für Lehramt, oder nur für Weiterbildung) gute Erfahrungen gemacht. Aber solche Trennung der Klientele kann sich das Institut aus Gründen der Personalknappheit kaum leisten. Bereits jetzt wird ein zu großer Anteil der Veranstaltungen von (wechselnden) Lehrbeauftragten abgehalten, weil unsere Personaldecke zu dünn ist. In einem Studium mit wenig standardisierten Inhalten ist das ungünstig. Hier wäre personelle Kontinuität wichtig und Lehrende sollten auch als Prüfende zur Verfügung stehen. - Alle diese Schwierigkeiten haben damit zu tun, daß sich das Philosophiestudium von einem Fach für speziell Motivierte (und oft auch Begabte) zu einem Massenfach entwickelt, ohne daß die Personalausstattung entsprechend mitwachsen kann. Viele Fächer reagier(t)en auf diese Entwicklung mit Standardisierung und Verschulung (bis hin zu multiple-choice als Prüfungsform). Nicht alles, aber ganz Wesentliches ginge der Philosophie verloren, wenn auch sie diesen Weg ginge.

Weyma Lübbe
Weyma Lübbe

EiGENSiNN: Würden Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen für ein Studium in Leipzig entscheiden ?

LÜBBE: Das hängt ja nicht nur von der Leipziger Situation, sondern auch von den verfügbaren Alternativen ab. Zur Zeit wird überall gespart, aber ich würde ceteris paribus eine Universität mit einem günstigeren Zahlenverhältnis von Studierenden zu Dozenten vorziehen. Ceteris paribus deshalb, weil ich meine Studienorte damals vor allem nach inhaltlichen Schwerpunkten ausgesucht und, da diese sich verschoben, alle 1-2 Jahre gewechselt habe.

EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie bewogen Philosophie zu studieren?

LÜBBE: Das hat sich so ergeben. In meinem Elternhaus wurde die Lust am Diskutieren sehr gefördert, zugleich aber empfohlen, ein Studium zu wählen, das einen später auch ernährt. In meiner Studienzeit habe ich viele Fächer ausprobiert und ziemlich frei kombiniert. Ich hätte auch bei der Soziologie hängen bleiben können oder wäre, wenn ich früher auf den Geschmack gekommen wäre, auch gerne Juristin geworden. Als Brotstudium belegte ich aber damals VWL. Dort wurde, jedenfalls im Grundstudium, viel gebüffelt und wenig reflektiert. Letzteres steigerte mein Selbstbewußtsein hinsichtlich der Kompetenzen, die man im Fach Philosophie erwirbt. Mit Assistentenstellen und Stipendien rückte dann die Hochschullaufbahn und damit die Philosophie als Brotberuf in realistische Nähe. Als Vorteil bei der Philosophie empfinde ich: Man ist besonders frei, worüber man arbeiten und was man lesen möchte. Im Studium habe ich alles aus Interesse, nie etwas um einer Studienordnung willen belegt. Aber die Philosophie alleine - nämlich so, wie sie betrieben wurde, bevor die "angewandten" Fragen wieder wichtiger wurden - war mir oft nicht "welthaltig" genug. Und noch ein Nachteil, aus meiner Sicht, vor allem im Verhältnis zur Rechtswissenschaft: Es gibt kaum Möglichkeiten, als Hochschullehrerin einmal für eine Zeitlang in einen Praxisberuf zu wechseln. Ich meine, daß es nicht gut ist, daß diejenigen, die von der Gesellschaft dafür bezahlt werden, über die soziale Welt und ihre Probleme nachzudenken, diese Welt, vom Hochschulmilieu einmal abgesehen, fast nur aus Büchern kennen.

EiGENSiNN: Wie ist Ihr Bild von den Studierenden heute und inwiefern hat es sich in den letzten zehn Jahren verändert?

LÜBBE: Schwierige Frage, denn mein Bild von den Studierenden ändert sich dauernd, ohne daß das an den Studierenden liegen muß. Zum Beispiel ist das Bild, wenn ich neu an einer Hochschule bin, ganz anders (nämlich blasser und unerfreulicher) als nach ein paar Jahren, wenn man viele Gesichter schon kennt und darin zu lesen gelernt hat. Es wird auch erfreulicher, je mehr man neben der Freude an der philosophischen Sache die Freude am Didaktischen entwickelt. Ansonsten allenfalls(und das hängt mit dem oben erwähnten Massenzulauf zum Fach zusammen): die Studierenden scheinen mir "normaler". Man muß offenbar das Philosophiestudium vor sich und anderen kaum noch dadurch rechtfertigen, daß man sich als genial oder jedenfalls als tiefsinnig stilisiert.

EiGENSiNN: Was hat sie bewogen die Professur in Leipzig anzunehmen und nicht in St.Gallen?

LÜBBE: Die Hauptgründe waren privater Natur; hier die sachlich-fachlichen: Die Universität St. Gallen ist aus einer Handelshochschule entstanden, und das ist sie nach Personal und Studiengängen sowie nach dem Stellenwert der Forschung im Verhältnis zur Berufsausbildung bis heute. Ich hätte sehr viele Außenkontakte gebraucht, um den vereinseitigen Einfluß des Ortes auf meine Arbeit zu kompensieren. Nachträglich bin ich auch aus anderen Gründen froh, daß ich so entschieden habe: Auch wenn ein voller philosophischer Institutsbetrieb mit seinen zahlreichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten seine Lästigkeiten hat - ich habe dabei sehr viel gelernt, was ich auf der Stelle in St. Gallen nicht gelernt hätte (die Philosophie ist dort, mit nur einer Stelle, reiner Zulieferer). Umgekehrt: Die Universität St. Gallen hat mich durch ihre auch institutionell verankerte Unabhängigkeit, ihr Selbstbewußtsein und ihre effizienten Entscheidungsstrukturen beeindruckt. Das gilt auch für den Reformprozeß, der damals dort gerade im Gange war und über den ich einiges mitbekam - ganz im Unterschied zum Reformprozeß an der Universität Leipzig, der mich in seiner Zähigkeit und Kläglichkeit allenfalls als interessantes Studienobjekt beeindruckt. Im Verhältnis zum Koloß in Leipzig wirkte die Universität St. Gallen wie ein kleines, aber feines Unternehmen - und das in der mir sehr vertrauten Postkartenlandschaft der Schweizer Voralpen ... Also, die Versuchung war schon da. Käme eine ähnliche irgendwann wieder und entwickeln sich die Freiräume für Forschungsaktivitäten in Leipzig (oder Deutschland) ungünstig, und spräche dann auch Privates nicht zwingend dagegen - dann bin ich weg!


Weyma Lübbe ist Professorin für praktische Philosophie an der Universität Leipzig