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Erschienen in: Ausgabe #1 vom Juli 2003



Interview mit Boris Hennig

EiGENSiNN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an der Uni Leipzig bezüglich Lehrmöglichkeiten des Personals?

HENNIG: Mir sind die Seminare generell zu voll, aber wahrscheinlich ist es an anderen Unis schlimmer. Natürlich könnte man sagen, dass die Räume zu klein sind oder zu wenige Stühle vorhanden sind. In meinen Seminaren sitzen aber (anfangs normalerweise) um die 60 Teilnehmer, und mit einer solchen Menge kann man keine Philosophie üben. Außerdem diskutiert nur ein Bruchteil der Teilnehmer, und die Zahl nimmt während des Semesters stark ab. Ich nehme an, dass vor allem diejenigen Studenten darunter leiden, von denen man nichts hört. Es sollten mehr, kleinere Seminare angeboten werden. Die Seminarform ist an sich sehr schön, um die wesentlichen Dinge zu lernen, und das geht verloren, wenn alles Vorlesungscharakter hat. Wer nicht zu Wort kommt, arbeitet natürlich nicht so mit, dass es wirklich etwas bringt. Das Klima am Institut halte ich für (nach wie vor) sehr gut. Ich kriege davon allerdings nicht sehr viel mit, weil ich hier nur Doktorand und Lehrbeauftragter bin, kein fester Bestandteil des Personals. Ich schätze, die Dozenten haben dieselben Probleme wie die Studenten: es ist zuwenig Uni da (sprich zuwenig Geld, zu viele Studenten).

Boris Hennig
Boris Hennig

EiGENSiNN: Würden Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen für ein Studium in Leipzig entscheiden ?

HENNIG: Ich hatte mich für Leipzig entschieden, weil man hier Logik im Hauptfach studieren kann; also entfiel die lästige Sache mit den Nebenfächern, die keinen Spass machen (Psychologie, Soziologie). Und, weil die Stadt mir sehr gefällt. Das hatte viel mit dem ersten
Eindruck und der Gastfreundschaft zu tun, im Gegensatz zu Köln und Berlin, wo ich mir auch die Unis angesehen hatte. Logik kann man hier bald nicht mehr studieren, aber die Stadt und das Institut sind immer noch ein guter Grund. Ich empfehle aber jedem, der es hören will, andere Unis auszuprobieren, oder wenigstens ein Jahr ins Ausland zu gehen. Meine Erfahrung ist, dass Philosophen in anderen Städten oft grundsätzlich andere Dinge tun.

EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie bewogen Philosophie zu studieren?

HENNIG: Ich wollte eigentlich Zivildienst in Freiburg (Breisgau) machen, weil ich dort Leute kennengelernt hatte. Eigentlich komme ich aus Bremen. Als der Zivildienst aus irgendeinem Grund ausfiel, wollte ich trotzdem nach Freiburg, und habe mich dort für Philosophie eingeschrieben. Zu Abiturszeiten hatte ich ein wenig Heidegger gelesen, und fand das sehr faszinierend, obwohl ich nicht viel davon verstanden habe. Ich ärgere mich heute über die fehlgeleiteten Anstreichungen in "Sein und Zeit" - mit einem dicken Kugelschreiber. Aber deswegen kam ich auf Philosophie in FreiburgA. Hauptsächlich wollte ich meine Ruhe haben, um mich zu orientieren und Gitarre zu spielen. Als ich erst einmal in den Seminaren drin war, habe ich mich dann nach und nach wirklich für die Philosophie entschieden. Nach Leipzig bin ich dann aus Prinzip gewechselt (siehe oben), und weil ich das Gefühl hatte, dass der Logik-Kurs in Freiburg mir noch nicht über die Schwierigkeiten mit der Logik hinweggeholfen hatte.

EiGENSiNN: Wie fühlt es sich an nicht mehr vor der Lehrbank, sondern auf ihr zu sitzen?

HENNIG: Ich mag Dozenten, die auf Tischen sitzen. Sebastian Rödl tut das, aber ich selbst kann mich nicht dazu durchringen. Außerdem finden meine Seminare hier ja in Hörsäälen statt, und da kann ich nur stehen oder umhergehen. Vom Studenten zum Dozenten war der Übergang fließend. Angefangen habe ich mit Tutorien in Logik und Ethik, dann habe ich Seminare mit Anderen zusammen geleitet. Die eigentliche Umgewöhnung war das erste Seminar alleine mit selbstgewähltem Thema. Die Planung ist erstaunlich schwierig. Oft sind Texte zu langweilig oder zu schwer, oder Fragen interessieren nicht wirklich, auch mich nicht, wenn ich dann ein paar Stunden darüber nachdenke. Das wichtigste ist, dass man sich als Dozent abgewöhnen muss, alle eigenen Ideen in die Diskussion einzubringen. Das habe ich als Student gerne gemacht, und da war es ja auch genau richtig. Dozenten müssen aber die Studenten eigene Ideen entwickeln lassen, also ein Klima schaffen, in dem Anderen gute Gedanken kommen. Daran arbeAite ich noch. Manchmal glaube ich, ich sollte mich noch einmal in die Seminare von guten Dozenten setzen und mir in Ruhe anschauen, wie das gemacht wird. Geert-Lueke Lueken kann sich zum Beispiel so zurückhalten, dass er die Seminarleitung behält und sich trotzdem jeder frei fühlt, alles zu sagen, was er für wichtig hält.

EiGENSiNN: Sie haben einen Teil Ihres Studiums im Ausland zugebracht, können Sie das weiterempfehlen?

HENNIG:Ich war ein Jahr in Dublin. Viele haben mir vorher erzählt, dass das ERASMUS-Jahr die schönste Zeit ihres Lebens war, und es war auch sehr schön und anregend. Ich hoffe aber, ab da geht es nicht wirklich bergab. In Dublin habe ich Englisch sprechen und schreiben gelernt, was ich immer wieder gut gebrauchen kann. Man sollte sich aber nicht einbilden, in Dublin Iren oder in Bordeaux Franzosen kennen zu lernen etc. Die Muttersprachler sprechen viel zu schnell und haben keine Geduld beim Zuhören. Ich habe jedenfalls vor allem sehr nette Italiener kennengelernt, was auch sehr gut war. Dublin ist, nicht nur was die Philosophie angeht, katholisch. Aristoteles und das Mittelalter spielen eine viel größere Rolle als hier in Leipzig (hier eigentlich gar keine). Was vor allem etwas seltsam war, war die Selbstverständlichkeit, mit der dort von Gott geredet wurde. Nicht, dass ständig von Gott die Rede war, aber jeder hat verstanden, was gemeint war. Ich neige, frei nach Pirmin Stekeler-Weithofer, dazu, den Gottesbegriff zu interpretieren, um ihn dadurch vielleicht zu verstehen; etwa als "Ort der Wahrheit" oder "wo das Mögliche wirklich ist". Das war in Dublin nicht denkbar. Das ist aber ganz heilsam, weil der Gottesbegriff ja auch keine Sache ist, die man allzu leicht erklären kann. Umgekehrt musste man in Dublin Sachen, die hier selbstverständlich sind, mühsam erklären, zum Beispiel, was eine Präsuppositionsanalyse ist. (Wenn das jetzt nicht so selbstverständlich ist: mit "hier" meinte ich meinen Doktorvater.)

EiGENSiNN: An welchem Projekt (an welcher Arbeit) arbeiten Sie derzeit ?

HENNIG:Nach dem Thema der Doktorarbeit sollte man keinen Doktoranden fragen. Wer sich so intensiv mit einer Frage beschäftigt, dass er ein Buch damit füllen kann, neigt dazu, stundenlang auszuführen, worum es genau geht. Das ist dann nämlich auch nicht einfach, sonst wäre es ja witzlos, ein ganzes Buch darüber zu schreiben. Meine Arbeit handelt von der Vorgeschichte des Begriffes conscientia (Bewusstsein, Gewissen) bei Descartes. Es geht um Paulus, Augustinus, Thomas von Aquin und andere, die diesen Begriff geprägt haben; dabei helfen natürlich meine Kenntnisse katholischer Philosophie. Natürlich geht es vor allem um Descartes selbst. Mehr sage ich aber lieber nicht.

Das Gespräch führten Ramona Krons und Sarah Jahn


Boris Hennig ist Doktorand und Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig