Interview mit Boris Hennig
EiGENSiNN: Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation an der Uni
Leipzig bezüglich
Lehrmöglichkeiten des Personals?
HENNIG: Mir sind die Seminare generell zu voll, aber
wahrscheinlich
ist es an anderen Unis schlimmer. Natürlich könnte man
sagen,
dass die Räume zu klein sind oder zu wenige Stühle
vorhanden sind. In meinen Seminaren sitzen
aber (anfangs normalerweise)
um die 60 Teilnehmer, und mit einer solchen Menge kann man keine
Philosophie üben. Außerdem diskutiert nur ein Bruchteil
der Teilnehmer, und die Zahl nimmt
während des Semesters stark
ab. Ich nehme an, dass vor allem diejenigen Studenten darunter leiden,
von denen man nichts hört. Es sollten mehr, kleinere Seminare
angeboten werden. Die
Seminarform ist an sich sehr schön, um
die wesentlichen Dinge zu lernen, und das geht verloren, wenn
alles
Vorlesungscharakter hat. Wer nicht zu Wort kommt, arbeitet natürlich
nicht so
mit, dass es wirklich etwas bringt. Das Klima am Institut
halte ich für (nach wie vor) sehr gut. Ich
kriege davon allerdings
nicht sehr viel mit, weil ich hier nur Doktorand und Lehrbeauftragter
bin, kein fester Bestandteil des Personals. Ich schätze, die
Dozenten haben dieselben Probleme wie
die Studenten: es ist zuwenig
Uni da (sprich zuwenig Geld, zu viele Studenten).
Boris Hennig
EiGENSiNN: Würden Sie sich unter den derzeitigen Bedingungen
für ein Studium in
Leipzig entscheiden ?
HENNIG: Ich hatte mich für Leipzig entschieden, weil man hier
Logik im Hauptfach studieren kann; also entfiel die lästige
Sache mit den Nebenfächern,
die keinen Spass machen (Psychologie,
Soziologie). Und, weil die Stadt mir sehr gefällt. Das hatte
viel mit dem ersten
Eindruck und der Gastfreundschaft zu tun, im Gegensatz zu
Köln
und Berlin, wo ich mir auch die Unis angesehen hatte. Logik kann
man hier bald
nicht mehr studieren, aber die Stadt und das Institut
sind immer noch ein guter Grund. Ich empfehle aber
jedem, der es
hören will, andere Unis auszuprobieren, oder wenigstens ein
Jahr ins
Ausland zu gehen. Meine Erfahrung ist, dass Philosophen
in anderen Städten oft grundsätzlich
andere Dinge tun.
EiGENSiNN: Wer oder was hat Sie bewogen Philosophie zu studieren?
HENNIG: Ich wollte eigentlich Zivildienst in Freiburg (Breisgau)
machen, weil ich dort
Leute kennengelernt hatte. Eigentlich komme
ich aus Bremen. Als der Zivildienst aus irgendeinem Grund
ausfiel,
wollte ich trotzdem nach Freiburg, und habe mich dort für Philosophie
eingeschrieben. Zu Abiturszeiten hatte ich ein wenig Heidegger gelesen,
und fand das sehr faszinierend,
obwohl ich nicht viel davon verstanden
habe. Ich ärgere mich heute über die fehlgeleiteten
Anstreichungen
in "Sein und Zeit" - mit einem dicken Kugelschreiber.
Aber
deswegen kam ich auf Philosophie in FreiburgA. Hauptsächlich
wollte ich meine Ruhe haben, um mich zu
orientieren und Gitarre
zu spielen. Als ich erst einmal in den Seminaren drin war, habe
ich mich dann nach und nach wirklich für die Philosophie entschieden.
Nach Leipzig bin ich dann aus
Prinzip gewechselt (siehe oben), und
weil ich das Gefühl hatte, dass der Logik-Kurs in Freiburg
mir noch nicht über die Schwierigkeiten mit der Logik hinweggeholfen
hatte.
EiGENSiNN: Wie fühlt es sich an nicht mehr vor der Lehrbank,
sondern auf ihr zu
sitzen?
HENNIG: Ich mag Dozenten, die auf Tischen sitzen. Sebastian Rödl
tut das, aber ich selbst kann mich nicht dazu durchringen. Außerdem
finden meine Seminare hier ja in
Hörsäälen statt,
und da kann ich nur stehen oder umhergehen. Vom Studenten zum Dozenten
war der Übergang fließend. Angefangen habe ich mit Tutorien
in Logik und Ethik,
dann habe ich Seminare mit Anderen zusammen
geleitet. Die eigentliche Umgewöhnung war das erste
Seminar
alleine mit selbstgewähltem Thema. Die Planung ist erstaunlich
schwierig.
Oft sind Texte zu langweilig oder zu schwer, oder Fragen
interessieren nicht wirklich, auch mich nicht,
wenn ich dann ein
paar Stunden darüber nachdenke. Das wichtigste ist, dass man
sich
als Dozent abgewöhnen muss, alle eigenen Ideen in die
Diskussion einzubringen. Das habe ich als
Student gerne gemacht,
und da war es ja auch genau richtig. Dozenten müssen aber die
Studenten eigene Ideen entwickeln lassen, also ein Klima schaffen,
in dem Anderen gute Gedanken kommen.
Daran arbeAite ich noch. Manchmal
glaube ich, ich sollte mich noch einmal in die Seminare von guten
Dozenten setzen und mir in Ruhe anschauen, wie das gemacht wird.
Geert-Lueke Lueken kann sich zum
Beispiel so zurückhalten,
dass er die Seminarleitung behält und sich trotzdem jeder frei
fühlt, alles zu sagen, was er für wichtig hält.
EiGENSiNN: Sie haben
einen Teil Ihres Studiums im Ausland zugebracht,
können Sie das weiterempfehlen?
HENNIG:Ich war ein Jahr in Dublin. Viele haben mir vorher erzählt,
dass das
ERASMUS-Jahr die schönste Zeit ihres Lebens war, und
es war auch sehr schön und anregend. Ich
hoffe aber, ab da
geht es nicht wirklich bergab. In Dublin habe ich Englisch sprechen
und
schreiben gelernt, was ich immer wieder gut gebrauchen kann.
Man sollte sich aber nicht einbilden, in
Dublin Iren oder in Bordeaux
Franzosen kennen zu lernen etc. Die Muttersprachler sprechen viel
zu schnell und haben keine Geduld beim Zuhören. Ich habe jedenfalls
vor allem sehr nette
Italiener kennengelernt, was auch sehr gut
war. Dublin ist, nicht nur was die Philosophie angeht,
katholisch.
Aristoteles und das Mittelalter spielen eine viel größere
Rolle
als hier in Leipzig (hier eigentlich gar keine). Was vor allem
etwas seltsam war, war die
Selbstverständlichkeit, mit der
dort von Gott geredet wurde. Nicht, dass ständig von Gott die
Rede war, aber jeder hat verstanden, was gemeint war. Ich neige,
frei nach Pirmin
Stekeler-Weithofer, dazu, den Gottesbegriff zu
interpretieren, um ihn dadurch vielleicht zu verstehen; etwa
als
"Ort der Wahrheit" oder "wo das Mögliche wirklich
ist". Das
war in Dublin nicht denkbar. Das ist aber ganz heilsam,
weil der Gottesbegriff ja auch keine Sache ist, die
man allzu leicht
erklären kann. Umgekehrt musste man in Dublin Sachen, die hier
selbstverständlich sind, mühsam erklären, zum Beispiel,
was eine Präsuppositionsanalyse
ist. (Wenn das jetzt nicht
so selbstverständlich ist: mit "hier" meinte ich
meinen Doktorvater.)
EiGENSiNN: An welchem Projekt (an welcher Arbeit) arbeiten Sie
derzeit ?
HENNIG:Nach dem Thema der Doktorarbeit sollte man keinen Doktoranden
fragen. Wer sich so intensiv mit einer Frage beschäftigt, dass
er ein Buch damit füllen kann,
neigt dazu, stundenlang auszuführen,
worum es genau geht. Das ist dann nämlich auch nicht
einfach,
sonst wäre es ja witzlos, ein ganzes Buch darüber zu schreiben.
Meine
Arbeit handelt von der Vorgeschichte des Begriffes conscientia
(Bewusstsein, Gewissen) bei Descartes. Es
geht um Paulus, Augustinus,
Thomas von Aquin und andere, die diesen Begriff geprägt haben;
dabei helfen natürlich meine Kenntnisse katholischer Philosophie.
Natürlich geht es vor
allem um Descartes selbst. Mehr sage
ich aber lieber nicht.
Das
Gespräch führten Ramona Krons und Sarah Jahn
Boris Hennig ist Doktorand
und Lehrbeauftragter an der Universität Leipzig