von Eugen Pissarskoi
Kann man stolz auf Deutschland sein?
Liebe Patriotinnen und Patrioten,
ich erinnere mich an eine vor ein
paar Jahren hitzig geführte
Diskussion über die Frage, ob man stolz auf Deutschland sein
dürfe. Sie beklagten sich damals öffentlich, dass Ihre
Gefühle ungerechtfertigt als
„moralisch unangemessen“
abgestempelt würden und durch öffentliche Appelle suchten
Sie nach Akzeptanz Ihres Stolzes Ihrem Vaterland gegenüber.
In der Tat,
Plausibilität konnte ich Ihrer Argumentation damals
nicht absprechen: Es scheint doch seltsam zu sein,
dass wir das
Stolzgefühl unserer Mitbürger aus Frankreich, England
und vielen
anderen Ländern ihrem jeweiligen Vaterland gegenüber
anstandslos akzeptieren, dasjenige der
Deutschen jedoch als verwerflich
bewerten. Ein Vorwurf von Ungerechtigkeit oder gar Inkonsistenz
wehte damals durch die Zeilen der Feuilletons.
Meine lieben Patriotinnen
und Patrioten, seit dieser Diskussion
sind ein paar Jahre vergangen und diesen Zeitraum habe ich dazu
genutzt, Philosophie zu studieren. Sie werden jetzt denken, dass
eine intensive
Beschäftigung mit Kant, Schelling, Hegel in
mir die Überzeugung reifen ließ, dass man einem
Land
gegenüber, welches diese Geister hervorbrachte, nichts anderes
als Stolz
empfinden könne und dass ich daher versuchen werde
zu begründen, warum dies so ist. Doch an
dieser Stelle muss
ich Sie enttäuschen. Oh nein, verstehen Sie mich nicht falsch.
Keineswegs möchte ich bezweifeln, dass alle diese Autoren Werke
geschrieben haben, welche man –
freilich erst nachdem man
sie verstanden hat – als „bedeutend“ einstufen
müsste. Enttäuschen werde ich Sie dadurch, dass ich Ihnen
zeigen werde, dass Sie mit den
Äußerungen „Ich
bin stolz auf Deutschland“ bzw. „Ich bin stolz darauf,
deutsch zu sein“ einen klassischen Kategorienfehler begehen.
Mit anderen Worten: dass Sie
mit diesen Ausdrücken Unsinn erzählen
[1].
Bevor ich
mit der eigentlichen Argumentation beginne, möchte
ich an einem eher einleuchtenden Beispiel Ihnen
erläutern,
was für eine Art des Fehlers Sie verüben. Dass die Aussage
„Eine Primzahl fährt im Hühnerstahl Motorrad“
irgendwie seltsam ist, leuchtet uns,
kompetenten Sprechern der deutschen
Sprache, schnell ein. Das Seltsame in ihr besteht darin, dass sie
logisch fehlerhaft ist. D.h. um ihren Wahrheitswert festzustellen,
brauchen wir nicht alle
Primzahlen durchzugehen und nachzuschauen,
ob eine von ihnen zufällig gerade in irgendeinem
Hühnerstall
auf einem Motorrad herumdüst [2], sondern
lediglich die
Bedeutung der in der obigen Aussage vorkommenden Wörter
zu kennen. „Primzahl“ bezeichnet
eine Zahl, eine Zahl
ist ein abstrakter Gegenstand und zur Bedeutung des Begriffswortes
„Motorrad fahren“ gehört, dass ein Motorrad nicht
von einem abstrakten Gegenstand gefahren
werden kann. Hierin besteht
also der Kategorienfehler: Eine notwendige Bedingung dafür,
dass die Aussage „X fährt im Hühnerstall Motorrad“
wahr sein kann, besteht darin,
dass an die Stelle von X ein Substantiv
eingesetzt wird, das auf Etwas aus der Kategorie nicht-abstrakter
Gegenstände referiert [3] . So ähnlich
ist es auch mit dem Ausdruck
„stolz sein auf Deutschland“.
Damit die Aussage „stolz sein auf X“ überhaupt
wahr sein kann, muss an die Stelle von X ein Substantiv eingesetzt
werden, das aus einer
anderen Kategorie stammt als das Substantiv
„Deutschland“. Welche Kategorie es ist, möchte
ich im Folgenden diskutieren.
Somit komme ich, meine lieben
Patriotinnen und Patrioten, zu der
Diskussion der Frage, was die eigentliche Bedeutung von dem Ausdruck
„stolz sein auf etwas“ ist.
Als erstes möchte
ich hervorheben, dass das Stolzsein auf
einen Gegenstand impliziert, dass dieser Gegenstand eine besondere
Leistung erbracht hat. Denn man kann nicht auf etwas stolz sein,
was keine bzw. schlechte
Leistung hervorbringt. Zum Beispiel stufen
wir die Äußerung „Ich bin stolz auf meinen
Bruder,
einfach weil er mein Bruder ist.“ als seltsam ein. Unsere
Reaktion auf sie
lautet: „Du meinst, Du magst Deinen Bruder,
Du hast Deinen Bruder gern. Aber mit Stolz hat das ja
nichts zu
tun.“ [4] Ein weiteres Beispiel soll
meine Sprachintuition
verstärken: „Ich bin stolz auf
meinen Baum, weil er so schnell so hoch gewachsen ist.“
Hier
sind wir geneigt zu sagen, dass der Sprecher dem Baum die bewusste
Verantwortung und
die damit verbundene Anstrengung dafür zuschreibt,
dass dieser so schnell wuchs. Also: das Wort
„stolz“
verwenden wir in Kontexten, in denen es darum geht, eine besondere
Leistung auszuzeichnen.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen raten, tief in
sich zu gehen,
und zu überlegen, ob Sie diese Prämisse wirklich akzeptieren.
Denn wenn Sie es tun, werden Sie, meine lieben Patriotinnen und
Patrioten, in eine große Bredouille
mit Ihrem Stolz geraten.
Sollte Ihnen nichts einfallen, so fragen Sie einfach ganz gewiefte
Philosophiestudenten nach Rat. Daniel Santelmann wird Ihnen auch
richtig gute Argumente liefern. Was ist
mit der Äußerung
„Ich bin stolz auf meine Nase“, wird er in seinem schlagendsten
Einwand fragen, was hat das mit Leistung zu tun? Meine Antwort hierauf:
In der Tat
spricht der Sprecher von „Ich bin stolz auf meine
Nase“ implizit eine Leistung seiner Nase zu!
Um zu verdeutlichen,
wie dieses – zugegeben kuriose – Phänomen geschieht,
werde ich den Sprecher fragen: „Warum bist Du stolz auf Deine
Nase? Was ist der Unterschied zu
<<Ich bin glücklich
mit meiner Nase>>?“ Ich werde ihn also nach dem deskriptiven
Bedeutungsbestandteil des Begriffswortes „stolz sein“
fragen. Die Antwort,
die er hierauf liefern würde, wird lauten:
„Meine Nase steigert mein Selbstbewusstsein im Sinne
von Selbstwertgefühl:
ich komme mir toller vor, fühle mich selbstbewusster –
daher bin ich nicht nur glücklich, sondern auch noch stolz“.
Schüchtern werde ich an
dieser Stelle darauf hinweisen, dass
das „Steigern des Selbstwertgefühls“ durchaus eine
Leistung ist. Der Sprecher ist also stolz auf seine Nase und nicht
nur glücklich mit
ihr, weil sie es schafft, sein Selbstwertgefühl
zu steigern.
Der zweite Aspekt, der die Bedeutung von „stolz sein“
konstituiert, lautet: Man kann nur
auf jemanden stolz sein, zu dem
man einen persönlichen Bezug herstellen kann. Denn wenn wir
auf jemandes Leistung stolz sein könnten, ohne einen Bezug
zu dieser Person herstellen zu
können, müssten wir auf
alle Leistungen stolz sein, die wir anerkennen. Wir müssten
dann auf alle Olympiasieger oder Fußballweltmeister stolz
sein. Dies ist aber offensichtlich
nicht der Fall. Wir sind auf
ganz bestimmte Olympiasieger stolz. Nämlich auf diejenigen,
zu denen wir einen persönlichen Bezug herstellen können;
z.B. dadurch, dass sie aus dem
gleichen Land kommen wie wir. Noch
mehr sind wir stolz, wenn die Olympiasieger aus dem gleichen Dorf
kommen oder gar mit uns verwandt sind. Je stärker der Bezug
zu uns, umso deutlicher
sprechen wir vom Stolz.
Das Fazit obiger Überlegungen lautet: „Ich bin stolz
auf X“ bedeutet so viel wie „Ich erkenne die Leistung
von X an und es gibt eine
persönliche Beziehung zwischen X
und mir“.
Nun
frage ich Sie, liebe Patriotinnen und Patrioten, was das für
eine persönliche Beziehung zwischen
Ihnen und der abstrakten
Idee Deutschland ist. Noch weniger verstehe ich, wie eine abstrakte
Entität wie „Deutschland“ etwas leisten kann? Denn
so wie keine abstrakte Entität
Motorrad fahren kann, kann sie
auch keine Leistungen erbringen.
Sie werden an dieser Stelle vermutlich auf den Ausdruck „Ich
bin stolz auf die deutsche
Fußballnationalmannschaft“
verweisen. Hierfür bin ich Ihnen dankbar, da an diesem Ausdruck
der Kategorienfehler sich noch schärfer herauskristallisiert.
Zum einen können
wir an diesem Beispiel uns noch einmal die
Wichtigkeit der Leistung für das Entstehen des
Stolzgefühles
vor Augen führen: Wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft
in der ersten Runde aus einem Wettbewerb ausscheidet, sind die einzigen
Menschen, die vom
Stolzgefühl sprechen, Zyniker: „Ich
bin stolz auf die Nationalmannschaft, weil sie es immerhin
in die
erste Runde geschafft hat“. Aber auch sie verweisen dabei
auf eine Leistung.
Nun nehmen wir an, jemand sage aufrichtig: „Ich
bin stolz auf die deutsche
Fußballnationalmannschaft, weil
sie die Fußballeuropameisterschaft gewonnen hat.“ Dieser
Sprecher meint, dass er stolz auf diejenigen Personen ist, die dazu
beigetragen haben,
dass die deutsche Nationalmannschaft die Europameisterschaft
gewinnt. Dies wird daran deutlich, dass der
Fan mit seiner Äußerung
nicht nur auf die elf Feldspieler, sondern auch auf die Ersatzspieler,
Trainer und andere referiert. Wenn zur deutschen Nationalmannschaft
der Hund des Managers
dazugehörte, so würde der Fan nicht
auch auf den Hund stolz sein, es sei denn er würde
behaupten,
dass der Hund zum Erfolg beitrug. Somit soll der zweite Aspekt deutlich
werden: Zu einer Leistung gehört ein konkreter Gegenstand,
der diese Leistung erbringt.
Nun werden Sie vermutlich sagen, dass Sie mit dem Ausdruck „stolz
auf
Deutschland“ soviel meinen wie „stolz auf das deutsche
Volk“. Damit sagen Sie: „Ich
erkenne die Leistungen
des deutschen Volkes an und es gibt eine persönliche Beziehung
zwischen dem deutschen Volk und mir“. Auf die Frage nach einer
besonderen Leistung werden Sie
vermutlich auf das Bruttosozialprodukt,
welches das deutsche Volk generiert, oder die deutsche Literatur
verweisen. Doch auch hier werde ich Sie darauf hinweisen müssen,
dass das deutsche
Volk nichts Konkretes ist.
Falls Sie meine Einwände verstanden haben, werden Sie sich
auf die Suche nach einer einwandfreien Formulierung begeben. Zu
welchem Ergebnis Sie gelangen werden,
weiß ich leider nicht.
Ich kann nur über einige Varianten spekulieren: „Ich
bin stolz auf die Menschen, die zum deutschen Volk gehören“;
oder „Ich bin stolz auf
die Menschen, die auf dem Territorium
der Bundesrepublik leben“; oder „Ich bin stolz auf die
Menschen, die zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland beigetragen
haben“ oder
vielleicht etwas ganz anderes. Sollten Sie die
erste Variante meinen, möchte ich Sie warnen, da diese
Äußerung
Stolzgefühle gegenüber Menschen einschließt, deren
Leistungen wir für verwerflich halten. Wenn jedoch die zweite
oder die dritte Variante Ihre
Gefühle am besten zum Ausdruck
bringt, so möchte ich vorschlagen, dass Sie diese auch verwenden.
Abgesehen davon, dass Sie auf diese Weise eine sinnvolle Äußerung
aussprechen
würden, wird damit auch noch der Verdacht des Missverständnisses
beseitigt, Ihr Patriotismus
grenze unsere ausländischen Mitbürgerinnen
und Mitbürger aus.
Sollten Sie aber trotz meiner Argumente bei der Äußerung
„stolz auf
Deutschland“ bleiben wollen mit der Begründung,
das philosophische Gequassel ändere nichts
an der Tatsache,
dass viele Mitbürgerinnen und Mitbürger Ihre Aussage verstünden,
möchte ich Sie daran erinnern, wie sie verstanden wird. Nämlich
auf die gleiche Art und
Weise wie wir den Ausdruck „Eine Primzahl
fährt im Hühnerstall Motorrad“ verstehen.
Ich kann
mir darunter sogar eine wunderschöne Dreiundzwanzig auf einer
gelben Ducati
zwischen aufgebrachten Hühnern vorstellen. Es
begleitet jedoch stets ein Schmunzeln meine Vorstellung,
was dafür
spricht, dass ich die Äußerung des Sprechers nicht ernst
nehmen
kann. Wenn Sie also als „nicht ernst gemeint“
verstanden werden möchten, spricht nichts
dagegen, dass Sie
weiterhin von Ihrem Stolz auf Deutschland reden.
Hochachtungsvoll,
Ihr Eugen Pissarskoi
Fussnote
[1] Sollte es ein Trostpflaster für Sie sein, so gilt der
Vorwurf
des Begehens eines Kategorienfehlers auch für die französischen,
englischen und alle anderen
Patrioten, welche ihr Gefühl mit
dem Stolz auf ihr jeweiliges Land beschreiben.
[2] Demjenigen, der der Logik nicht traut und sich doch lieber empirisch
vergewissern möchte,
empfehle ich, nicht mit dem Durchgehen
der Primzahlen anzufangen, sondern stattdessen alle
Hühnerställe
zu überprüfen, ob sich dort eine Primzahl findet.
[3] Die Aussage „Meine Oma fährt im Hühnerstall
Motorrad“ ist dagegen logisch
einwandfrei. Sie kann somit
empirisch wahr oder falsch sein. Um ihren Wahrheitswert zu erfahren,
müssen Sie, meine lieben Patriotinnen und Patrioten, Wolf Biermann
fragen.
[4] Hierbei halten wir das Brudersein für keine Leistung, denn
es ist nichts, für das man etwas
tut.