von Sven-Uwe Janietz
ähnlich oder abstrakt?
Für Hume war die Sprache schlicht ein Ausdruck unserer Gedanken
und Vorstellungen, und Letztere nichts als die (möglicherweise
assoziativ zusammengesetzten) Abbilder
von Eindrücken. Die
Behauptung dieses Zusammenhangs versetzte ihn in die Lage, einen
Test für die Sinnhaftigkeit von nicht-logischen Wörtern
durchzuführen, indem man sich
nämlich fragt, von welchem
Eindruck bzw. welchen Eindrücken die mit dem Wort bezeichnete
Vorstellung ein Abbild sein mag. Bewaffnet mit diesem empiristischen
Sinnkriterium geht Hume
schließlich auf die philosophische
Rede los (und unternimmt einen einzigartigen Elefantenritt durch
den Porzellanladen menschlichen Verstandes) – mich interessieren
aber an dieser
Stelle besonders seine Schlussfolgerungen hinsichtlich
so genannter 'allgemeiner Vorstellungen' :
Zahlreiche Wörter unserer Sprache scheinen auf eine möglicherweise
unbegrenzte Zahl von Vorstellungen einzelner Gegenstände zu
verweisen, z.B. 'Stuhl' oder
'Pferd' – womit, wenn allgemein
verwendet („Alle Pferde fressen“) , nicht nur das
einzelne
Pferd da drüben auf der Weide, sondern eine unübersehbare
Menge von
Dingen gemeint ist, die wir ebenfalls 'Pferd' zu nennen
geneigt sein könnten, ganz zu schweigen von
all den vergangenen
und zukünftigen Pferden.
Von
derartigen 'allgemeinen Vorstellungen’ (general ideas)
aber, fragt sich Hume, ob sie, so wie sie
vom menschlichen Geiste
vollzogen werden, allgemein oder individuell seien. {Traktat S.30}
Wie ist es möglich eine allgemeine Vorstellung zu haben, die
eine schier unerschöpfliche
Menge von individuellen Einzelvorstellungen
von Dingen mit verschiedensten Eigenschaften
repräsentiert?
Nahe liegend ist, dass entweder sämtliche speziellen Eigenschaften
der darunter fallenden individuellen Vorstellungen mitgedacht werden
oder aber keine von ihnen. Ersteres
scheint unplausibel, da, sofern
die Zahl der repräsentierten Einzelvorstellungen endlos ist,
auch unser geistiges Vermögen deren Eigenschaften mitzudenken
es sein müsste. Folglich
rückt die Ansicht, dass sämtliche
speziellen Eigenschaften nicht mitgedacht werden, sozusagen von
den Einzeldingen 'abstrahiert' wird ( bis eine 'abstrakte Vorstellung'
vorliegt ) in
den Fokus.
Die abstrakte Vorstellung (abstract idea) wäre dann eine solche,
die weder eine bestimmte Qualität noch Quantität beinhaltet,
die abstrakte
Vorstellung von „Mensch“ ohne eine bestimmte
Größe, Haarfarbe, Geschlecht etc. Dass
dem menschlichen
Verstand derartige Vorstellungen möglich sind, verneint Hume
entschieden, nämlich …, dass kein Objekt den Sinnen
[…] kein Eindruck dem Geist
gegenwärtig sei ohne Bestimmtheit
des Grades sowohl seiner Quantität als seiner
Qualität.“
{Traktat S.32}, weil wir erstens nicht jene Bestimmungen, die
wir 'wegzutragen' glauben, von den wesentlichen unterscheiden können
(so ist nach Humes Auffassung
im Traktat nicht die Länge einer
Linie zu unterscheiden von der Linie selbst – anders gesagt:
es ist keine 'reine Länge' vorstellbar, sondern sie tritt erst
ins Denken mit
einer konkreten Vorstellung von etwas Länglichem,
etwa einer Linie). Zweitens, so werden wir belehrt,
sei es ein in
der Philosophie allgemein anerkannter Grundsatz, dass alles in der
Natur
individuell ist. Wenn wir denn aber keinen isolierbaren Eindruck
von etwas ohne bestimmte Qualität und
Quantität haben
können, folgert Hume, sein empiristisches Sinnkriterium anwendend,
können Vorstellungen, die ja bloße Repräsentanten
der Eindrücke sind, nie und
nimmer abstrakt sein.
Gut und schön, aber wenn unsere allgemeinen
Vorstellungen
nicht derart abstrakt sind, müssen sie wohl individuell sein
( the
image in the mind is that of a particular object
), und endlich (also nicht die Vorstellung
sämtlicher Einzelpferde,
wegen des begrenzten Geistesvermögens), dabei im Gebrauch aber
so scheinen, als ob sie eben mehr wären als eine begrenzte
Menge individueller Vorstellungen.
Wie geht das denn? Hume denkt
sich das etwa so: „Wenn wir gefunden haben, dass mehrere
Gegenstände, die uns oft begegneten, Ähnlichkeit haben,
so brauchen für alle
denselben Namen [wie groß ihre speziellen
Unterscheide auch sind]“ {Traktat S.34} Der
Gebrauch
des gleichen Namens wird uns zur Gewohnheit und erzeugt dann, wenn
wir ihn
hören, eine konkrete Einzelvorstellung (beispielsweise
von einem Pferd) darüber hinaus
'berührt' er aber auch,
wie der Autor sich ausdrückt, die Seele und ruft jene Gewöhnung
wach, die uns vermögend macht, beliebige ähnliche Einzelvorstellungen,
wenn
nötig, ins Gedächtnis zu rufen. „Das Wort
ruft eine Einzelvorstellung hervor, und mit
ihr zugleich eine gewisse
gewohnheitsmäßige Tendenz des Vorstellens ( a certain
custom ) „ {Traktat S.34} Nun ja, die Gewohnheit, welche
nun auch wesentlich an den allgemeinen
Vorstellungen beteiligt wird,
weist ja über den Verstand hinaus. Wenn der Verstand alleine
nicht hinreicht um etwas zu rechtfertigen, dann werden Instinkte
ins Boot geholt – der
Gewohnheitsinstinkt durfte uns ja auch
schon bei den induktiven Erfahrungsschlüssen wesentlich
behilflich
sein.
Aber um Gewohnheit soll es hier gar nicht
gehen, vielmehr scheint
schon der Begriff der Ähnlichkeit ( resemblance ) weitere Fragen
aufzuwerfen. Er taucht zuerst bei den Assoziationen der Vorstellungen
auf und wird dabei zu einem der
drei Prinzipien erklärt, wie
Gedanken verknüpft werden, was Ähnlichkeit ausmacht wird
dabei nicht geklärt. Im Abschnitt über abstrakte Vorstellungen
stellt Hume
schließlich fest: wenn „… die
Einzeldinge von uns auf Grund der Ähnlichkeit, die
sie miteinander
haben, zusammengefasst und mit einem allgemeinen Ausdruck bezeichnet
werden, so muss eben diese Beziehung [Ähnlichkeit] ihr Auftreten
in der Einbildungskraft
erleichtern…“ {Traktat S.38}
Ja aber wie kommt es denn, dass man zwei verschiedene Autos
irgendwie
ähnlich findet, dass man zwei oder mehrere Vorstellungen in
die Relation
Ähnlichkeit bringt? Hume würde wahrscheinlich
sagen, dass auch hier wieder ein menschlicher
Instinkt am Werk ist
und hätte damit eine Lösung im Angebot, die nahtlos in
sein System passt. Es ist nur verwunderlich, warum er diese nicht
so deutlich herausgearbeitet hat, zumal
der Instinkt der Ähnlichkeit
grundlegender zu sein scheint, als der viel besprochene
Gewohnheitsinstinkt,
da Letzterer bereits 'ähnliche' Ereignisse voraussetzt.
Viel deutlicher wird dahingehend W.V.Quine: „ One of
the two instincts is
that of induction. It is the tendency to expect
any two similar perceptions to be followed respectively by
two more
perceptions that are in turn similar to each other. This tendency
is the basis
of conditioning, and hence of all learning, and hence
can not itself have been learned, so it must be
instinctive. Since
it depends on some standard of similarity of perceptions, some such
standard must be instinctive too. Our standard changes with experience,
but has to begin in instinct in
order to implement induction. So
we have an instinct of similarity and an instinct of induction.”
{Networks} - hier wird ausgesprochen, was uns Hume nur vermuten
ließ: um einen
erkenntnistheoretischen Empirismus plausibel
zu machen, müssen zwei verschiedene Instinkte postuliert
werden,
der Induktions-/Gewohnheitsinstinkt und der noch grundlegendere
Instinkt für
Ähnlichkeit. Eine derartige 'Ausstattung'
muss daher jeglichem empirischen Lernen vorausgehen, sie
muss in
einem bestimmten Sinne 'angeboren' sein. Das hält Quine freilich,
in
bester Humescher Tradition, nicht für einen Fall angeborener,
apriorischer oder sonst welcher Ideen ,
sondern, seinem Naturalismus
die Ehre gebend, für „eine Sache der physiologischen
Details unseres komplexen und unbestreitbar angeborenen Nervensystems“
{Theorien S.76} -
kurzum, für gar kein philosophisches
Problem, sondern für eine Detailfrage empirischer
Wissenschaft.
Eine etwas andere Herangehensweise an die abstrakten Ideen zieht
P.F.Strawson in Betracht (Skeptizismus S.94ff), indem er sich auf
Wittgenstein
beruft: „ Und darum erscheint das Aufleuchten
des Aspektes [d.h. wenn plötzlich etwas als
das-und-das gesehen
wird] halb Seherlebnis, halb ein Denken… […] …
'Ein im Sehen nachhallender Gedanke'– möchte man sagen
… […] … was ich im
Aufleuchten des Aspektes wahrnehme,…
ist eine interne Relation zwischen ihm [dem Gegenstand] und
anderen
Objekten.“ {Untersuchungen S.507-523} Das etwas Individuelles
als
irgendetwas Bestimmtes gesehen wird, scheint zwei Komponenten
zu enthalten: das Sehen des Dinges und das
Bestimmende (der 'aufleuchtende
Aspekt', der 'nachhallende Gedanke'). Zu sehen ist nur Individuelles
und trotzdem scheint etwas Allgemeines hinzuzutreten, das den erkannten
Gegenstand als
Exemplifizierung eines bestimmten Typs aufweist –
die abstrakte Idee. Sollte Hume dabei etwa
übersehen haben,
dass es solche in der Welt gibt, also eben nicht alles in der Natur
individuell sei? Strawson meint, dass die abstrakte Idee mitnichten
in der Welt ist, da sie weder Ort,
Zeitpunkt noch Kausalkräfte
hat und uns lediglich in ihren Exemplifikationen eine Ahnung ihrer
Existenz gibt. Überhaupt ist der abstrakte Ideen nur im Denken
präsent, nur im Denken
lässt sich das Universal vom Exempel
unterscheiden, die abstrakte Idee ist kein Gegenstand der Welt,
der per Erfahrung in unsere Vorstellung gelangt, sondern sie ist
bereits in unserem
Denken zu Hause – a priori sozusagen.
Der Stand der Dinge bezüglich
allgemeiner Ideen: Der Empirist
kann als mögliche Vorstellungen alles zulassen, was wir durch
Erfahrung aus der Welt abbilden können. Er kann also durchaus
Platonist sein, wenn er
Gründe hat, zu meinen, dass es jene
geheimnisvollen abstrakte Dinge in der Welt gäbe. Wenn er das
nicht denkt, oder zumindest nicht für den gesamten Bereich
unserer Rede zulassen
möchte, dann muss der Ähnlichkeitsinstinkt
bemüht werden. Dieser scheint aber, bei
näherem Hinsehen,
gar nicht so ein guter Ansatz zur Klärung unseres Problems
zu
sein, da er ja gewissermaßen das Unklare (das wir innerhalb
der Verstandesgrenzen wähnen) in ein
anderes Unklares (außerhalb
des Verstandes) überführt. Man könnte sich sogar
fragen ob der so verstandene Ähnlichkeitsinstinkt nicht gar
noch viel nebulöser ist, als
es die abstrakten Ideen waren.
Klärung kann man sich von der Rückführung auf diesen
Instinkt wohl nur erhoffen, wenn er im Quineschen Sinne naturalisiert
und erforschbar wird. Im
System Humes hält sich seine Erklärungskraft
jedenfalls in Grenzen - man mag wohl
bekräftigen, dass er den
Ähnlichkeitsinstinkt gar nicht behandelt hat, aber ich sehe
nicht, warum man diese Kritik nicht analog gegen den Gewohnheitsinstinkt
richten sollte. Damit ist
aber gleichzeitig die nicht-empiristische
Auffassung, dass wir nämlich a priori abstrakte Ideen im
Verstande
zu beherbergen behaupten (er es uns sozusagen vorgibt Dinge als
das-und-das zu
erkennen) ein Stückchen attraktiver geworden.
Zitierte Literatur:
-
Traktat: Hume, Traktat über die menschliche Natur.
Hrsg. Reinhardt Brand, Band 1
,Über den Verstand, Meiner-Verlag
Hamburg 1989
-
Networks: Quine; “Three Networks: Similarity, Implication
and Membership” in “The Proceedings of the Twentieth
World Congress of
Philosophy – Analytic Philosophy and
Logic” , hrsg. Akihiro Kanamori
-
Theorien: Quine , Theorien und Dinge, Suhrkamp
1.Aufl. 1991
-
Untersuchungen: Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen.
In: Schriften, Band 1, Frankfurt
1960, Teil II
-
Skeptizismus: Strawson, Skeptizismus und Naturalismus, Athenäum-Verlag
Frankfurt 1987