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Erschienen in: Ausgabe #1 vom Juli 2003


von Sven-Uwe Janietz

ähnlich oder abstrakt?

Für Hume war die Sprache schlicht ein Ausdruck unserer Gedanken und Vorstellungen, und Letztere nichts als die (möglicherweise assoziativ zusammengesetzten) Abbilder von Eindrücken. Die Behauptung dieses Zusammenhangs versetzte ihn in die Lage, einen Test für die Sinnhaftigkeit von nicht-logischen Wörtern durchzuführen, indem man sich nämlich fragt, von welchem Eindruck bzw. welchen Eindrücken die mit dem Wort bezeichnete Vorstellung ein Abbild sein mag. Bewaffnet mit diesem empiristischen Sinnkriterium geht Hume schließlich auf die philosophische Rede los (und unternimmt einen einzigartigen Elefantenritt durch den Porzellanladen menschlichen Verstandes) – mich interessieren aber an dieser Stelle besonders seine Schlussfolgerungen hinsichtlich so genannter 'allgemeiner Vorstellungen' :


Zahlreiche Wörter unserer Sprache scheinen auf eine möglicherweise unbegrenzte Zahl von Vorstellungen einzelner Gegenstände zu verweisen, z.B. 'Stuhl' oder 'Pferd' – womit, wenn allgemein verwendet („Alle Pferde fressen“) , nicht nur das einzelne Pferd da drüben auf der Weide, sondern eine unübersehbare Menge von Dingen gemeint ist, die wir ebenfalls 'Pferd' zu nennen geneigt sein könnten, ganz zu schweigen von all den vergangenen und zukünftigen Pferden.


Von derartigen 'allgemeinen Vorstellungen’ (general ideas) aber, fragt sich Hume, ob sie, so wie sie vom menschlichen Geiste vollzogen werden, allgemein oder individuell seien. {Traktat S.30} Wie ist es möglich eine allgemeine Vorstellung zu haben, die eine schier unerschöpfliche Menge von individuellen Einzelvorstellungen von Dingen mit verschiedensten Eigenschaften repräsentiert? Nahe liegend ist, dass entweder sämtliche speziellen Eigenschaften der darunter fallenden individuellen Vorstellungen mitgedacht werden oder aber keine von ihnen. Ersteres scheint unplausibel, da, sofern die Zahl der repräsentierten Einzelvorstellungen endlos ist, auch unser geistiges Vermögen deren Eigenschaften mitzudenken es sein müsste. Folglich rückt die Ansicht, dass sämtliche speziellen Eigenschaften nicht mitgedacht werden, sozusagen von den Einzeldingen 'abstrahiert' wird ( bis eine 'abstrakte Vorstellung' vorliegt ) in den Fokus.


Die abstrakte Vorstellung (abstract idea) wäre dann eine solche, die weder eine bestimmte Qualität noch Quantität beinhaltet, die abstrakte Vorstellung von „Mensch“ ohne eine bestimmte Größe, Haarfarbe, Geschlecht etc. Dass dem menschlichen Verstand derartige Vorstellungen möglich sind, verneint Hume entschieden, nämlich …, dass kein Objekt den Sinnen […] kein Eindruck dem Geist gegenwärtig sei ohne Bestimmtheit des Grades sowohl seiner Quantität als seiner Qualität.“ {Traktat S.32}, weil wir erstens nicht jene Bestimmungen, die wir 'wegzutragen' glauben, von den wesentlichen unterscheiden können (so ist nach Humes Auffassung im Traktat nicht die Länge einer Linie zu unterscheiden von der Linie selbst – anders gesagt: es ist keine 'reine Länge' vorstellbar, sondern sie tritt erst ins Denken mit einer konkreten Vorstellung von etwas Länglichem, etwa einer Linie). Zweitens, so werden wir belehrt, sei es ein in der Philosophie allgemein anerkannter Grundsatz, dass alles in der Natur individuell ist. Wenn wir denn aber keinen isolierbaren Eindruck von etwas ohne bestimmte Qualität und Quantität haben können, folgert Hume, sein empiristisches Sinnkriterium anwendend, können Vorstellungen, die ja bloße Repräsentanten der Eindrücke sind, nie und nimmer abstrakt sein.


Gut und schön, aber wenn unsere allgemeinen Vorstellungen nicht derart abstrakt sind, müssen sie wohl individuell sein ( the image in the mind is that of a particular object ), und endlich (also nicht die Vorstellung sämtlicher Einzelpferde, wegen des begrenzten Geistesvermögens), dabei im Gebrauch aber so scheinen, als ob sie eben mehr wären als eine begrenzte Menge individueller Vorstellungen. Wie geht das denn? Hume denkt sich das etwa so: „Wenn wir gefunden haben, dass mehrere Gegenstände, die uns oft begegneten, Ähnlichkeit haben, so brauchen für alle denselben Namen [wie groß ihre speziellen Unterscheide auch sind]“ {Traktat S.34} Der Gebrauch des gleichen Namens wird uns zur Gewohnheit und erzeugt dann, wenn wir ihn hören, eine konkrete Einzelvorstellung (beispielsweise von einem Pferd) darüber hinaus 'berührt' er aber auch, wie der Autor sich ausdrückt, die Seele und ruft jene Gewöhnung wach, die uns vermögend macht, beliebige ähnliche Einzelvorstellungen, wenn nötig, ins Gedächtnis zu rufen. „Das Wort ruft eine Einzelvorstellung hervor, und mit ihr zugleich eine gewisse gewohnheitsmäßige Tendenz des Vorstellens ( a certain custom ) „ {Traktat S.34} Nun ja, die Gewohnheit, welche nun auch wesentlich an den allgemeinen Vorstellungen beteiligt wird, weist ja über den Verstand hinaus. Wenn der Verstand alleine nicht hinreicht um etwas zu rechtfertigen, dann werden Instinkte ins Boot geholt – der Gewohnheitsinstinkt durfte uns ja auch schon bei den induktiven Erfahrungsschlüssen wesentlich behilflich sein.


Aber um Gewohnheit soll es hier gar nicht gehen, vielmehr scheint schon der Begriff der Ähnlichkeit ( resemblance ) weitere Fragen aufzuwerfen. Er taucht zuerst bei den Assoziationen der Vorstellungen auf und wird dabei zu einem der drei Prinzipien erklärt, wie Gedanken verknüpft werden, was Ähnlichkeit ausmacht wird dabei nicht geklärt. Im Abschnitt über abstrakte Vorstellungen stellt Hume schließlich fest: wenn „… die Einzeldinge von uns auf Grund der Ähnlichkeit, die sie miteinander haben, zusammengefasst und mit einem allgemeinen Ausdruck bezeichnet werden, so muss eben diese Beziehung [Ähnlichkeit] ihr Auftreten in der Einbildungskraft erleichtern…“ {Traktat S.38} Ja aber wie kommt es denn, dass man zwei verschiedene Autos irgendwie ähnlich findet, dass man zwei oder mehrere Vorstellungen in die Relation Ähnlichkeit bringt? Hume würde wahrscheinlich sagen, dass auch hier wieder ein menschlicher Instinkt am Werk ist und hätte damit eine Lösung im Angebot, die nahtlos in sein System passt. Es ist nur verwunderlich, warum er diese nicht so deutlich herausgearbeitet hat, zumal der Instinkt der Ähnlichkeit grundlegender zu sein scheint, als der viel besprochene Gewohnheitsinstinkt, da Letzterer bereits 'ähnliche' Ereignisse voraussetzt.


Viel deutlicher wird dahingehend W.V.Quine: „ One of the two instincts is that of induction. It is the tendency to expect any two similar perceptions to be followed respectively by two more perceptions that are in turn similar to each other. This tendency is the basis of conditioning, and hence of all learning, and hence can not itself have been learned, so it must be instinctive. Since it depends on some standard of similarity of perceptions, some such standard must be instinctive too. Our standard changes with experience, but has to begin in instinct in order to implement induction. So we have an instinct of similarity and an instinct of induction.” {Networks} - hier wird ausgesprochen, was uns Hume nur vermuten ließ: um einen erkenntnistheoretischen Empirismus plausibel zu machen, müssen zwei verschiedene Instinkte postuliert werden, der Induktions-/Gewohnheitsinstinkt und der noch grundlegendere Instinkt für Ähnlichkeit. Eine derartige 'Ausstattung' muss daher jeglichem empirischen Lernen vorausgehen, sie muss in einem bestimmten Sinne 'angeboren' sein. Das hält Quine freilich, in bester Humescher Tradition, nicht für einen Fall angeborener, apriorischer oder sonst welcher Ideen , sondern, seinem Naturalismus die Ehre gebend, für „eine Sache der physiologischen Details unseres komplexen und unbestreitbar angeborenen Nervensystems“ {Theorien S.76} - kurzum, für gar kein philosophisches Problem, sondern für eine Detailfrage empirischer Wissenschaft.


Eine etwas andere Herangehensweise an die abstrakten Ideen zieht P.F.Strawson in Betracht (Skeptizismus S.94ff), indem er sich auf Wittgenstein beruft: „ Und darum erscheint das Aufleuchten des Aspektes [d.h. wenn plötzlich etwas als das-und-das gesehen wird] halb Seherlebnis, halb ein Denken… […] … 'Ein im Sehen nachhallender Gedanke'– möchte man sagen … […] … was ich im Aufleuchten des Aspektes wahrnehme,… ist eine interne Relation zwischen ihm [dem Gegenstand] und anderen Objekten.“ {Untersuchungen S.507-523} Das etwas Individuelles als irgendetwas Bestimmtes gesehen wird, scheint zwei Komponenten zu enthalten: das Sehen des Dinges und das Bestimmende (der 'aufleuchtende Aspekt', der 'nachhallende Gedanke'). Zu sehen ist nur Individuelles und trotzdem scheint etwas Allgemeines hinzuzutreten, das den erkannten Gegenstand als Exemplifizierung eines bestimmten Typs aufweist – die abstrakte Idee. Sollte Hume dabei etwa übersehen haben, dass es solche in der Welt gibt, also eben nicht alles in der Natur individuell sei? Strawson meint, dass die abstrakte Idee mitnichten in der Welt ist, da sie weder Ort, Zeitpunkt noch Kausalkräfte hat und uns lediglich in ihren Exemplifikationen eine Ahnung ihrer Existenz gibt. Überhaupt ist der abstrakte Ideen nur im Denken präsent, nur im Denken lässt sich das Universal vom Exempel unterscheiden, die abstrakte Idee ist kein Gegenstand der Welt, der per Erfahrung in unsere Vorstellung gelangt, sondern sie ist bereits in unserem Denken zu Hause – a priori sozusagen.


Der Stand der Dinge bezüglich allgemeiner Ideen: Der Empirist kann als mögliche Vorstellungen alles zulassen, was wir durch Erfahrung aus der Welt abbilden können. Er kann also durchaus Platonist sein, wenn er Gründe hat, zu meinen, dass es jene geheimnisvollen abstrakte Dinge in der Welt gäbe. Wenn er das nicht denkt, oder zumindest nicht für den gesamten Bereich unserer Rede zulassen möchte, dann muss der Ähnlichkeitsinstinkt bemüht werden. Dieser scheint aber, bei näherem Hinsehen, gar nicht so ein guter Ansatz zur Klärung unseres Problems zu sein, da er ja gewissermaßen das Unklare (das wir innerhalb der Verstandesgrenzen wähnen) in ein anderes Unklares (außerhalb des Verstandes) überführt. Man könnte sich sogar fragen ob der so verstandene Ähnlichkeitsinstinkt nicht gar noch viel nebulöser ist, als es die abstrakten Ideen waren. Klärung kann man sich von der Rückführung auf diesen Instinkt wohl nur erhoffen, wenn er im Quineschen Sinne naturalisiert und erforschbar wird. Im System Humes hält sich seine Erklärungskraft jedenfalls in Grenzen - man mag wohl bekräftigen, dass er den Ähnlichkeitsinstinkt gar nicht behandelt hat, aber ich sehe nicht, warum man diese Kritik nicht analog gegen den Gewohnheitsinstinkt richten sollte. Damit ist aber gleichzeitig die nicht-empiristische Auffassung, dass wir nämlich a priori abstrakte Ideen im Verstande zu beherbergen behaupten (er es uns sozusagen vorgibt Dinge als das-und-das zu erkennen) ein Stückchen attraktiver geworden.


Zitierte Literatur:

  • Traktat: Hume, Traktat über die menschliche Natur. Hrsg. Reinhardt Brand, Band 1 ,Über den Verstand, Meiner-Verlag Hamburg 1989

  • Networks: Quine; “Three Networks: Similarity, Implication and Membership” in “The Proceedings of the Twentieth World Congress of Philosophy – Analytic Philosophy and Logic” , hrsg. Akihiro Kanamori

  • Theorien: Quine , Theorien und Dinge, Suhrkamp 1.Aufl. 1991

  • Untersuchungen: Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. In: Schriften, Band 1, Frankfurt 1960, Teil II

  • Skeptizismus: Strawson, Skeptizismus und Naturalismus, Athenäum-Verlag Frankfurt 1987