von Daniel Santelmann und Sven-Uwe Janietz
Die Schule der Elite
Mangelhaft motivierte Studenten, im Durchschnitt viel zu hohe Semesterzahlen
und das Fehlen einer
echten Elite sind Vorwürfe, denen sich
das deutsche Studiensystem nicht erst seit kurzem ausgesetzt
sieht.
Jedoch mehrt sich die Häufigkeit und Intensität beträchtlich,
seit
es immer weniger überzeugt, der Abwanderung der Wirtschaft
ins billigere Ausland die deutsche
„Technologieführerschaft“
und den Glauben an die Kreation innovativer Industriezweige
entgegenzusetzen.
Eine Hochschulreform wird von allen verlangt, was darunter verstanden
wird, divergiert erheblich. Was hat das mit Frankreich zu tun? In
Frankreich wird die Regelstudienzeit kaum
überschritten, die
Absolventen sind wesentlich jünger und schon gar nicht fehlt
es an Elite. Was die intrinsische Motivation der französischen
Studenten betrifft, so ist sie der
ihrer deutschen Kommilitonen
zweifellos nicht unähnlich (gut oder schlecht) doch das Reglement
unseres Nachbarlandes zwingt entschieden stärker zur Leistung.
Frankreich sammelt schon seit
Jahrzehnten Erfahrungen mit Elitehochschulen
und einem insgesamt weitaus verschulteren
Universitätssystem,
da lohnt schon mal der Blick in den Westen, nicht zuletzt, um zu
schauen was eventuell auch auf uns zukommen könnte.
An den normalen
Universitäten Frankreichs sind etwa 2 Millionen
Studenten eingeschrieben, während an den 187
finanziell bedeutend
besser ausgestatteten Grandes Ecoles, die zudem einen Ruf haben,
der
„Karrieretüren öffnet“, rund 120.000 junge
Leute lernen was das Zeug hält.
Das Prestige, was ein Grande Ecole-Studium mit sich bringt, ist
nicht zu unterschätzen, denn die beruflichen Aussichten der
Absolventen sind blendend. Im
Durchschnitt finden über 90 Prozent
von ihnen umgehend eine feste Stelle, meist in gehobener Position
und mit ausgezeichneter Bezahlung. So absolvierten beispielsweise
zwei von drei der
letzten Staatspräsidenten, sowie drei der
letzten vier Premierminister die Ecole National
d’Administration
(ENA), die Ausbildungsstätte der politischen Elite Frankreichs.
Die „Enarquen“ sind dermassen präsent in der französischen
Verwaltung, dass man
nicht selten den Ausdruck „Enarchismus“
zu hören bekommt. Die wichtigsten Grandes Ecoles,
wie etwa
jene ENA oder die „Polytechnique“ (für Naturwissenschaftler
und
Ingenieure) oder die Ecole Normale Superieure (Eliteschule für
Geisteswissenschaftler) sind im
übrigen staatlich und nicht
privat.
Staatlich sind auch
die klassischen Universitäten, was aber
auch fast schon die einzige Gemeinsamkeit ist, die sie mit den
oben
genannten Grandes Ecoles haben. Die finanzielle Situation ist dort
nämlich, und
das dürfte nun wiederum uns deutschen Studenten
bekannt vorkommen, nicht eben rosig. Das hat eine
bescheidene Ausstattung
zur Folge, technisch wie personell, der Studierende droht im Massenbetrieb
unterzugehen. In Frankreich wird sogar noch ein Viertel weniger
Geld pro Student ausgegeben, als
in Deutschland. Während die
Universitäten ein kostenfreies Studium anbieten, verlangen
die meisten Grandes Ecoles Studiengebühren, außerdem
erhalten sie im Vergleich zur Uni
rund dreimal soviel staatliche
Bezuschussung pro Student.
Die weltbekannte Sorbonne zählt nur noch zur zweiten Klasse
Es ist wohl
nicht übertrieben von einem institutionalisierten
Zweiklassensystem im französischen
Hochschulbereich zu sprechen
- so schafft man auf alle Fälle eine Elite. Wer „erste
Klasse“ studieren darf wird nach dem Leistungsprinzip entschieden.
Zur
Fotoserie "Sorbonne in Paris"
Wir erkennen an, dass das
Leistungsprinzip in gewissem Sinne Chancengleichheit
anstrebt, ob es das indessen garantieren kann, darf
bezweifelt werden.
Die Leistung der Schüler zeigt eine nicht geringe Proportionalität
zum Bildungsniveau des Elternhauses. Zudem kann, wer sich auskennt,
verschiedene Kniffe anwenden, um
sein Kind auf die Bahn der Elite
zu schicken. Denn bereits bei den ebenfalls sehr elitären Classes
Préparatoires, die die Bacheliers (Abiturienten) auf die
Grandes Ecoles
vorbereiten sollen, und nicht zuletzt bei den Schulen
gibt es deutliche Niveauunterschiede. Die
Prüfung zum Baccalauréat
ist landesweit die gleiche und eine schlechte Schule mit einem guten
Bac zu beenden stellt eine erhöhte Schwierigkeit dar.
Neben dem elitären Charakter zeichnet das französische
Schulsystem ein hoher Grad von
Verschulung aus. Überall herrscht
der Frontalunterricht und bereits früh in der Schule lernen
die Schüler vor allem eins: Alles mitzuschreiben, was der Lehrer
in nicht enden
wollendem Monolog von sich gibt. Der Monolog endet
auch an der Uni und bei uns dialogisch orientierten
Fächern
wie Philosophie nicht. Es gibt es keine Seminare, sondern ausschließlich
Vorlesungen, zudem ist der Stundenplan vorgegeben, die Wahlmöglichkeiten
sind minimal. Am Ende des
Semesters wird man zu jeder Veranstaltung
geprüft, dann sind Ferien und man vergisst den Stoff;
Hausarbeiten
werden auch in den Geisteswissenschaften nicht geschrieben.
Das hat aber nicht nur Nachteile: Führt die Einbeziehung und
die Freiheit der Studenten in
Deutschland immer wieder zu niedrigem
Niveau der Seminare, weil sich keiner richtig vorbereitet hat, ist
in Frankreich durch den Monolog des Dozenten ein gewisses Niveau
garantiert.
Was aber sicherlich leidet ist der für
geisteswissenschaftliche
Disziplinen unerlässliche diskursive Charakter. Die französischen
Studenten lernen eine breite Basis von Theorien kennen, doch an
Punkten, an denen es wirklich
schwierig wird und sie allein durch
Lektüre nicht mehr weiterkommen, hört ihr Wissen auf.
Haben deutsch Dozenten oft die Absicht, den Studenten im Dialog
das Handwerkszeug der Analyse und
des Verstehens schwieriger Texte
und Theorien zu vermitteln, was dann durch wissenschaftliche Hausarbeiten
praktiziert und getestet wird, ist für solche Ziele im französischen
System
wenig Platz.
Das hat verschiedene Auswirkungen:
Zum einen sind die französischen Studenten nicht gut auf die
Forschungstätigkeit
vorbereitet, müssen vieles erst erlernen,
wenn sie sich für eine Laufbahn an der Uni entscheiden.
Die
Eliteschulen, die bessere Unterrichtsbedingungen vorweisen, sind
nicht viel mehr auf
wissenschaftlichen Dialog ausgerichtet, da sie
nicht auf die Forschung, sondern auf den praktischen Beruf
vorbereiten.
Zum anderen scheinen sie manchmal generell etwas weniger
selbstständig
zu sein. So wie in der Schule von außen bestimmt wird, womit
man
sich zu beschäftigen hat, bleibt man auch in der Uni weitgehend
passiv. Die ganze Maschinerie des
französischen Ausbildungssystems
mit ihren vielen Regeln macht den Studenten zu einem ihrer
Zahnräder,
während der deutsche Student seinen Weg vergleichsweise selbstbestimmt
gehen kann. Sicherlich stellt diese Selbstbestimmtheit für
einige deutsche Studenten auch ein
Problem dar, einigen gelingt
es nicht, die Strukturierung selbst in die Hand zu nehmen, und sie
wären froh über klarere Vorgaben von außen. Doch
scheint mir solche
Selbstständigkeit es wert zu sein, gelernt
zu werden. So hat die Strenge des Systems bei den
französischen
Studenten verschiedene Folgen: Sie entwickeln weniger eigene Projekte,
Berufsideen, oder eigene Lebensentwürfe. Sie sind weniger politisch
und gehen weniger ins Ausland als
die deutschen Studenten. Vielfach
suchen sie einen Ausgleich zu den Engen des Bildungssystems in der
Kultur, in Musik, Theater oder Kunst. Jedoch stellt dies eher eine
unabhängige Gegenwelt
dar, es gibt weniger fruchtbare Verbindung
von Kreativität und Beruf, von Eigeninitiative und
Arbeitswelt.
Wird in der Diskussion um eine deutsche Hochschulreform also
Frankreich
als Vorbild herangezogen, so ist dies mit Vorsicht zu genießen.
Ein
möglicher Gewinn an Effizienz und kürzere Studienzeiten
stehen einem Verlust an
Eigenständigkeit und starker Ungleichheit
durch Elitenbildung gegenüber.