von Jutta Schinscholl
Studium in Frankreich: Brest
Philosophie in Frankreich studieren - wer dabei an guten Rotwein
und postmodernes Wissen denkt, liegt
gleich zweimal falsch. Franzosen
lieben Wodka und (H)égel.
Aber richtig, man sollte das ein wenig differenzierter betrachten.
Und wer sich für ein Studium in
der Bretagne entscheidet, muß
sich sowieso von seinen liebgewordenen Vorurteilen trennen, Bretonen
sind nun mal anders.
Das Mittelalter
lässt grüssen: Tour Tanguy und im Hintergund das Chateau
Brest ist mit
seinen ca. 150.000 Einwohnern die zweitgrößte
Stadt der Bretagne und liegt im Département
Finistère.
Der Glaube, dass der westlichste Zipfel Frankreichs das Ende der
Welt
sei, gab dem Département seinen Namen. Die von der deutschen
Wehrmacht besetzte Stadt wurde 1944
unter einem Bombenhagel der
Alliierten fast vollständig zerstört und anschließend
im 50erJahre Baustil wieder aufgebaut. Wer sich von diesen Äußerlichkeiten
nicht
abschrecken läßt und sich zudem für Schiffe
und Wassersport begeistert, kann sich in Brest
sehr wohl fühlen:
Brest hat den zweitgrößten Militärhafen Frankreichs
und Surfen und Segeln gehören zum Unisportprogramm.
Dennoch habe auch ich
mich dort wohlgefühlt. Zum Beispiel
wegen der großen Auswahl in den Bäckereien- diese sind
übrigens verpflichtet, auf Anfrage kostenlos Brot an bedürftige
Menschen zu
geben. Auch die Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit
der Menschen in Brest macht es einem trotz der
anfänglichen
Sprachbarrieren leichter, sich einzuleben, als das vielleicht in
anonymeren Städten wie Paris der Fall ist. Entgegen der hartnäckigen
Weigerung vieler Franzosen,
sich in einer anderen als ihrer eigenen
Sprache zu verständigen, sind sie manchmal erfreut, ihre
wenigen
Brocken Deutsch zu erproben - auch wenn die Konversation dann zumeist
mit
spärlichen Redebeiträgen wie „1,2, Polizei“
oder Rammsteinzitaten schnell an ihr Ende
gelangt. Die Winter in
Brest sind milde - und das ist auch gut so, denn die Heizungen werden
ungeachtet der Aussentemperatur an Allerheiligen an- und an Ostern
wieder abgestellt, was nicht immer
dem eigenen Kälteempfinden
entspricht.
Wer sich ein wenig
für die bretonische Kultur interessiert,
kann sich nicht nur im „Centre de recherche bretonne et
celtique“
informieren, sondern auch im Gespräch mit den Menschen einiges
erfahren. Viele der älteren Generation beherrschen noch Bretonisch,
aber auch den Jüngeren ist am
Erhalt der bretonischen Traditionen
gelegen. Beliebt ist das „Fest Noz“, welches das ganze
Dorf zusammenführt um zu Biniou Kozh (die bretonische Variante
des schottischen
Dudelsacks) und Geigen zu tanzen. Insgesamt ist
die Bretagne mit ihrer kargen Landschaft, den vielen Inseln
und
Buchten und natürlich dem guten Essen sicher eines der schönsten
Gebiete
Frankreichs.
Keine Schotten (denn
die tragen Röcke), sondern Bretonen
Das Universitätssystem in
Frankreich ist generell sehr verschult
und reglementiert. Gleiches gilt für das Philosophiestudium
an der Université de Bretagne Occidentale. Das Philosophieinstitut
ist mit nur 6
Dozenten - darunter ein deutscher und ein germanophiler
Dozent - sehr klein, das Lehrangebot entsprechend
begrenzt. Gelehrt
werden vor allem Kant und Hegel, aber auch Arendt und Benjamin.
Die
Seminare werden in Klassenverbänden abgehalten, d.h. vom
ersten Studienjahr (DEUG) bis zum vierten
(Maîtrise) studiert
man mit einer festen Gruppe von Kommilitonen, Leistungen werden
am Ende jedes Semesters durch eine Klausur abgeprüft.
Zudem gibt es jedes
Jahr einen festgelegten Stundenplan, Wahlmöglichkeiten
hat man nur bezüglich einer
Unterrichtsstunde in einem anderen
Fachbereich. Dieses verschulte Unisystem bedingt auch, dass trotz
kleiner Seminare keine Diskussionen entstehen und der vortragende
Dozent selten in Frage
gestellt wird. Dafür ist man nach vier
Jahren Studium Philosoph. Es wäre müßig an
dieser
Stelle über Sinn oder Unsinn der Einführung von BA/MA
Studiengängen
im Bereich der Philosophie zu diskutieren, aber
es ist sehr hilfreich, die Universitätsstrukturen des
eigenen
Landes einmal von außen zu betrachten.
Vielleicht noch hilfreiche praktische Dinge:
Wer normalerweise über die Irrungen und
Wirrungen der deutschen
Bürokratie klagt, sollte vielleicht noch mal über sein
Zielland Frankreich nachdenken. Doch wer es erst mal geschafft hat,
das Personal der Deutschen Bahn zu
überzeugen, dass man eine
Fahrkarte nach Frankreich und nicht nach Brest in Polen möchte,
ist auch den anderen Herausforderungen gewachsen. So bedarf es schon
eines gewissen Talents, ein
Bankkonto zu eröffnen, ohne die
Vorlage eines Mietvertrages, denn diesen abzuschließen bedarf
es wiederum den Nachweis über ein Bankkonto. Apropos Mietvertrag.
Anders als in
Deutschland leben viele französische Studenten
während des Studiums noch bei ihren Eltern oder
fahren zumindest
am Wochenende nach Hause. Das studentische Leben gestaltet sich
dort
also etwas anders...
Die Mieten sind im Allgemeinen recht hoch in Frankreich,
aber jeder
Student kann bei der 'Caisse d’Allocations Familiales’
(C.A.F.)
Wohngeld beantragen und bekommt es normalerweise auch zugebilligt.
WGs sind in Frankreich - zumindest in
den kleineren Städten
– selten, doch es gibt Ausnahmen. Neben dem Nachweis über
ein Bankkonto in Frankreich wollen viele Vermieter, dass man eine
Feuerversicherung abschließt.
Hier reicht manchmal auch der
Nachweis über die deutsche Haftpflichtversicherung. Sinnvoll
ist es auch, sich von seinen Eltern eine Bürgschaft ausstellen
zu lassen.
Hilfe bei der Wohnungssuche erhält man vom Studentensekretariat
(C.L.O.U.S.),
manchmal reicht auch ein Blick in die Tageszeitungen
oder auf die Aushänge in der Uni. Will man
bereits von Deutschland
aus ein Zimmer organisieren, kann man es unter www.colocation.fr
versuchen. Vermeiden sollte man, ein Zimmer im Studentenwohnheim
zu nehmen. Das ist zwar billig, aber
kommunikativer als man das
vielleicht möchte...
An der
Universität gibt es das Büro für internationale
Beziehungen (SUCRI), das sich um die Sorgen
der Erasmusstudenten
kümmert und an das man sich jederzeit mit viel Geduld wenden
kann. Ausserdem gibt es seit einigen Jahren die studentische Organisation
'Ulysses’, die
Erasmusstudenten betreut, Partys organisiert
und Fahrten durch die Bretagne veranstaltet.
Wichtig ist, gerade am Anfang des Auslandsaufenthaltes ein wenig
angespartes Geld
zu haben, denn die monatliche Unterstützung
des Erasmus-Stipendiums (ca. 100 Euro) wird in zwei Raten
gezahlt.
Einmal im November, wenn man sich aus finanziellen Gründen
bereits gegen
die Uni und fürs Kellnern entscheiden musste,
und dann noch mal, wenn man wieder in Leipzig ist und
sich freut,
wieder hier zu sein.
Der Erasmusplatz in Brest wird
über die philosophische Fakultät
vergeben, Ansprechpartner ist Sebastian Rödl. Entscheidet
man
sich für eine andere Stadt in Frankreich, hat man sicher gute
Chancen, wenn man
sich über andere Fakultäten bewirbt
(z.B. Soziologie/ Informatik). Doch wie könnte man sich
nicht
für die Bretagne entscheiden, hört man die Bretonen selbst
über sie
sprechen: « O combien tu es beau mon pays. Bretagne,
terre des vieux saints, terre des bardes. Il
n’y a pas d’autre
pays que j’aime autant dans le monde. » (Zitat aus der
bretonischen Hymne)