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Erschienen in: Ausgabe #3 vom Juli 2004


von Jutta Schinscholl

Studium in Frankreich: Brest

Philosophie in Frankreich studieren - wer dabei an guten Rotwein und postmodernes Wissen denkt, liegt gleich zweimal falsch. Franzosen lieben Wodka und (H)égel.


Aber richtig, man sollte das ein wenig differenzierter betrachten. Und wer sich für ein Studium in der Bretagne entscheidet, muß sich sowieso von seinen liebgewordenen Vorurteilen trennen, Bretonen sind nun mal anders.


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Das Mittelalter lässt grüssen: Tour Tanguy und im Hintergund das Chateau


Brest ist mit seinen ca. 150.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Bretagne und liegt im Département Finistère. Der Glaube, dass der westlichste Zipfel Frankreichs das Ende der Welt sei, gab dem Département seinen Namen. Die von der deutschen Wehrmacht besetzte Stadt wurde 1944 unter einem Bombenhagel der Alliierten fast vollständig zerstört und anschließend im 50erJahre Baustil wieder aufgebaut. Wer sich von diesen Äußerlichkeiten nicht abschrecken läßt und sich zudem für Schiffe und Wassersport begeistert, kann sich in Brest sehr wohl fühlen: Brest hat den zweitgrößten Militärhafen Frankreichs und Surfen und Segeln gehören zum Unisportprogramm.


Dennoch habe auch ich mich dort wohlgefühlt. Zum Beispiel wegen der großen Auswahl in den Bäckereien- diese sind übrigens verpflichtet, auf Anfrage kostenlos Brot an bedürftige Menschen zu geben. Auch die Hilfsbereitschaft und Aufgeschlossenheit der Menschen in Brest macht es einem trotz der anfänglichen Sprachbarrieren leichter, sich einzuleben, als das vielleicht in anonymeren Städten wie Paris der Fall ist. Entgegen der hartnäckigen Weigerung vieler Franzosen, sich in einer anderen als ihrer eigenen Sprache zu verständigen, sind sie manchmal erfreut, ihre wenigen Brocken Deutsch zu erproben - auch wenn die Konversation dann zumeist mit spärlichen Redebeiträgen wie „1,2, Polizei“ oder Rammsteinzitaten schnell an ihr Ende gelangt. Die Winter in Brest sind milde - und das ist auch gut so, denn die Heizungen werden ungeachtet der Aussentemperatur an Allerheiligen an- und an Ostern wieder abgestellt, was nicht immer dem eigenen Kälteempfinden entspricht.


Wer sich ein wenig für die bretonische Kultur interessiert, kann sich nicht nur im „Centre de recherche bretonne et celtique“ informieren, sondern auch im Gespräch mit den Menschen einiges erfahren. Viele der älteren Generation beherrschen noch Bretonisch, aber auch den Jüngeren ist am Erhalt der bretonischen Traditionen gelegen. Beliebt ist das „Fest Noz“, welches das ganze Dorf zusammenführt um zu Biniou Kozh (die bretonische Variante des schottischen Dudelsacks) und Geigen zu tanzen. Insgesamt ist die Bretagne mit ihrer kargen Landschaft, den vielen Inseln und Buchten und natürlich dem guten Essen sicher eines der schönsten Gebiete Frankreichs.


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Keine Schotten (denn die tragen Röcke), sondern Bretonen


Das Universitätssystem in Frankreich ist generell sehr verschult und reglementiert. Gleiches gilt für das Philosophiestudium an der Université de Bretagne Occidentale. Das Philosophieinstitut ist mit nur 6 Dozenten - darunter ein deutscher und ein germanophiler Dozent - sehr klein, das Lehrangebot entsprechend begrenzt. Gelehrt werden vor allem Kant und Hegel, aber auch Arendt und Benjamin. Die Seminare werden in Klassenverbänden abgehalten, d.h. vom ersten Studienjahr (DEUG) bis zum vierten (Maîtrise) studiert man mit einer festen Gruppe von Kommilitonen, Leistungen werden am Ende jedes Semesters durch eine Klausur abgeprüft.


Zudem gibt es jedes Jahr einen festgelegten Stundenplan, Wahlmöglichkeiten hat man nur bezüglich einer Unterrichtsstunde in einem anderen Fachbereich. Dieses verschulte Unisystem bedingt auch, dass trotz kleiner Seminare keine Diskussionen entstehen und der vortragende Dozent selten in Frage gestellt wird. Dafür ist man nach vier Jahren Studium Philosoph. Es wäre müßig an dieser Stelle über Sinn oder Unsinn der Einführung von BA/MA Studiengängen im Bereich der Philosophie zu diskutieren, aber es ist sehr hilfreich, die Universitätsstrukturen des eigenen Landes einmal von außen zu betrachten.


Vielleicht noch hilfreiche praktische Dinge:

Wer normalerweise über die Irrungen und Wirrungen der deutschen Bürokratie klagt, sollte vielleicht noch mal über sein Zielland Frankreich nachdenken. Doch wer es erst mal geschafft hat, das Personal der Deutschen Bahn zu überzeugen, dass man eine Fahrkarte nach Frankreich und nicht nach Brest in Polen möchte, ist auch den anderen Herausforderungen gewachsen. So bedarf es schon eines gewissen Talents, ein Bankkonto zu eröffnen, ohne die Vorlage eines Mietvertrages, denn diesen abzuschließen bedarf es wiederum den Nachweis über ein Bankkonto. Apropos Mietvertrag. Anders als in Deutschland leben viele französische Studenten während des Studiums noch bei ihren Eltern oder fahren zumindest am Wochenende nach Hause. Das studentische Leben gestaltet sich dort also etwas anders...


Die Mieten sind im Allgemeinen recht hoch in Frankreich, aber jeder Student kann bei der 'Caisse d’Allocations Familiales’ (C.A.F.) Wohngeld beantragen und bekommt es normalerweise auch zugebilligt. WGs sind in Frankreich - zumindest in den kleineren Städten – selten, doch es gibt Ausnahmen. Neben dem Nachweis über ein Bankkonto in Frankreich wollen viele Vermieter, dass man eine Feuerversicherung abschließt. Hier reicht manchmal auch der Nachweis über die deutsche Haftpflichtversicherung. Sinnvoll ist es auch, sich von seinen Eltern eine Bürgschaft ausstellen zu lassen.


Hilfe bei der Wohnungssuche erhält man vom Studentensekretariat (C.L.O.U.S.), manchmal reicht auch ein Blick in die Tageszeitungen oder auf die Aushänge in der Uni. Will man bereits von Deutschland aus ein Zimmer organisieren, kann man es unter www.colocation.fr versuchen. Vermeiden sollte man, ein Zimmer im Studentenwohnheim zu nehmen. Das ist zwar billig, aber kommunikativer als man das vielleicht möchte...


An der Universität gibt es das Büro für internationale Beziehungen (SUCRI), das sich um die Sorgen der Erasmusstudenten kümmert und an das man sich jederzeit mit viel Geduld wenden kann. Ausserdem gibt es seit einigen Jahren die studentische Organisation 'Ulysses’, die Erasmusstudenten betreut, Partys organisiert und Fahrten durch die Bretagne veranstaltet.


Wichtig ist, gerade am Anfang des Auslandsaufenthaltes ein wenig angespartes Geld zu haben, denn die monatliche Unterstützung des Erasmus-Stipendiums (ca. 100 Euro) wird in zwei Raten gezahlt. Einmal im November, wenn man sich aus finanziellen Gründen bereits gegen die Uni und fürs Kellnern entscheiden musste, und dann noch mal, wenn man wieder in Leipzig ist und sich freut, wieder hier zu sein.


Der Erasmusplatz in Brest wird über die philosophische Fakultät vergeben, Ansprechpartner ist Sebastian Rödl. Entscheidet man sich für eine andere Stadt in Frankreich, hat man sicher gute Chancen, wenn man sich über andere Fakultäten bewirbt (z.B. Soziologie/ Informatik). Doch wie könnte man sich nicht für die Bretagne entscheiden, hört man die Bretonen selbst über sie sprechen: « O combien tu es beau mon pays. Bretagne, terre des vieux saints, terre des bardes. Il n’y a pas d’autre pays que j’aime autant dans le monde. » (Zitat aus der bretonischen Hymne)