Vorgestellt: der blaue reiter
Der blaue reiter
entstand am Humboldt-Studienzentrums der Universität
Ulm. Studenten der Naturwissenschaften und der
Medizin wollten den
Philosophieprofessoren beweisen, dass Philosophie auch verständlich
sein kann — und aus Spaß wurde Ernst
Ursprünglich
als medizinische Hochschule mit dem Anspruch
der Interdisziplinarität geplant, wurden den
medizinischen
Fakultäten (Fakultät für theoretische Medizin und
Fakultät für klinische Medizin) bei Ihrer Gründung
auch naturwissenschaftliche
Fakultäten als "Hilfswissenschaften"
beigefügt. Da eine Universität ohne
Philosophie als der
Wissenschaft, welche die theoretischen Grundlagen der Wissenschaft
allererst begründet und beständig hinterfragt, keine Universität
im Humboldtschen Sinne sein
kann, gründeten die beiden Professoren
Klaus Giel (Pädagoge für die Lehrerausbildung) und
Hans
Peter Pauschinger (Physiologe) das Humboldt-Studienzentrum für
Philosophie an
der Universität Ulm. Im Rahmen eines Grundstudiums
Philosophie, das von Lehrkräften der
Universitäten Augsburg,
Tübingen, Stuttgart und Lehrbeauftragten aus aller Welt getragen
wird, ist es Studenten der Medizin und der Naturwissenschaften (inzwischen
auch der
Ingenieurswissenschaften) möglich, ein Philosophikum
(vergleichbar einem Vordiplom) zu erwerben. Der
Lehrbetrieb erfolgt
in Abendveranstaltungen und in Form von Blockseminaren.
Die Idee eine "allgemein verständliche" Philosophiezeitschrift
ins
Leben zu rufen entstand unter dem Eindruck der Forderungen nach
Verständlichkeit und Praxisnähe,
mit denen sich die Lehrkräfte
in ihren Veranstaltungen seitens der Studierenden konfrontiert sahen.
"Wann darf ich die Beatmungsmaschine abstellen?", "Wie
ist die
militärische Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen
der Elementarteilchenphysik ethisch zu
bewerten?", "Welche
ethischen Folgen hat die künstliche Befruchtung?", "Welches
sind die philosophischen Grundlagen der Naturwissenschaften?"
sind nur einige der
Fragen, die im Rahmen der Veranstaltungen diskutiert
wurden. Dabei sahen sich die Lehrkräfte immer
wieder dem Problem
gegenüber, dass die Studenten, Doktoranden und auch Professoren
aus allen an der Universität Ulm vertretenen Fakultäten
Schwierigkeiten mit der philosophischen
Fachsprache hatten. Die
Kenntnis des Unterschieds zwischen dem Transzendenten (dem jenseits
der sinnlichen Erfahrung befindlichen) und dem Transzendentalen
(die Bedingungen der Möglichkeit)
konnte von den Dozenten nicht
vorausgesetzt werden. Vergleichbar den Philosophen, die sich mit
medizinischen Fachbegriffen wie Chromosomen (Träger des Erbmaterials)
und Ribosomen (komplexe
Eiweißmoleküle, die anhand des
genetischen Codes Moleküle "synthetisieren")
schwer
tun, die Fluorchlorkohlenwasserstoffe nicht von Kohlenhydraten unterscheiden
können. In dieser babylonischen Sprachverwirrung wurde der
blaue reiter von der Fachschaft Philosophie
der Univerität
Ulm mit dem Anspruch aus der Taufe gehoben, Philosophie auf einem
zwar anspruchsvollen aber dennoch verständlichen Niveau zu
präsentieren. Auch für das Auge
sollte etwas geboten werden
und die Unterhaltung sollte ebenfalls nicht zu kurz kommen. Frei
nach dem Motto "Philosophie ist nicht scheitern, sondern gekonnt
scheitern" (siehe den Beitrag
von Professor Obermeier in der
1. Ausgabe), wurde die erste Nummer des blauen reiters in den Druck
gegeben.
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Schon Dutzende
einschlägiger
Themen wurden von blauen reiter "rangenommen" -
man kann sich übrigens auch in der Leipziger Unibibliothek
die gesammelten Ausgaben zu
Gemüte führen |
Mit
der Künstlergruppe "Der Blaue Reiter" um Franz
Marc und Wassily Kandinski, hat das Journal
für Philosophie
nur die Metaphorik, das heißt die bildliche Sprache, gemein:
Geist, für den bei Franz Marc die Farbe blau steht, gab es
an der medizinisch naturwissenschaftlichen
Universität Ulm
nicht, also musste dafür gekämpft werden — wenn
schon nicht mit Reitern, die das kämpferische Element symbolisieren,
so doch mit Nachdruck und
Engagement. Don Quichote gleich (siehe
Titelbild der ersten Ausgabe), ritt eine Bande Studenten auf ihren
Rosinanten gegen Windmühlen wie Bürokratie, so genannte
wirtschaftliche
Realitäten und fremdwortgespickte Aufsätze,
welche die Redaktion von der Professorenschaft
erreichten. Da sich
kein Verlag fand, der das verrückte Unternehmen finanzieren
wollte, wurde eigens ein Verlag, der omega verlag, gegründet
— man wollte, ganz philosophisch,
gleich mit dem Ende beginnen.
Mehr mit Glück als Verstand und vor allem durch die tatkräftige
wie finanzielle Unterstützung vieler begeisterter Leser der
ersten Ausgaben,
kämpft die Redaktion nach wie vor mit sich
wie auch mit der philosophischen Materie. Auch wenn
kritische Stimmen
inzwischen mit Verweis auf das Motto des "gekonnten Scheiterns"
den blauen reiter mitunter als unphilosophisch bezeichnen —
schließlich ist er (noch) nicht
gescheitert — "reitet"
die schönste und auch dem Format nach größte
Philosophiezeitschrift
deutscher Sprache nach wie vor quicklebendig durch die Buchhandlungen
zu ihren Lesern. Entgegen allen betriebswirtschaftlichen Regeln
gelingt es der Redaktion immer wieder
eine neue Ausgabe zu produzieren.
Inzwischen hat sich der einstige Studentenwitz gar zur meistverkauften
Philosophiezeitschrift deutscher Sprache gemausert. Gleichwohl ist
der blaue reiter immer
noch auf Unterstützung seitens seiner
Leser und großzügiger Mäzene angewiesen
(Förderabonnements,
Druckkostenzuschüsse …).
Was die Redaktion vor allem möchte, ist mit jeder Ausgabe
zu zeigen, dass Denken Spaß macht
und dass vordergründig
abstrus scheinende Gedankenakrobatik durchaus etwas mit dem so genannten
realen Leben zu tun hat. Freilich geht es nicht völlig von
selbst, "sein Hirn muss man
schon noch zusammen nehmen",
beschrieb ein Journalist das Projekt. Neben klassischen Beiträgen
finden sich im blauen reiter immer wieder auch innovative Ansätze,
wie Interviews
mit dem Starfriseur Udo Walz zum Thema Ästhetik
oder dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer zum Thema
Subjektivität.
Philosophie im Haushalt steht neben einer Philosophie des Biers
und
einem philosophischen Kreuzworträtsel. Was im Rahmen des
Themenblocks nicht genügend zu Wort
kommt, findet sich im Lexikon
näher erläutert oder wird im Rahmen des Portraits behandelt
— all das in der Hoffnung, den Spaß am Denken aber auch
dessen Ernsthaftigkeit und
weltveränderndes Potential vermitteln
zu können.