Das Denken verschwindet nicht - Ein Gespräch mit John McDowell
John McDowell, geboren 1942, ist einer der einflussreichsten Denker
in
der gegenwärtigen analytischen Philosophie. Robert Brandom,
sein Kollege in Pittsburgh, hat über
ihn gesagt, er sei „arguably
the deepest and most important philosopher of his generation“.
Bevor er in die USA ging, war McDowell viele Jahre in Oxford tätig,
wo er auch
studiert hatte. Seine Schriften gelten allgemein als
schwierig, vor allem sein 1994 erschienenes Buch Mind
and World
(als Geist und Welt bei Suhrkamp). Darüber hinaus hat er 1998
zwei
Aufsatzsammlungen veröffentlicht: Meaning, Knowledge,
and Reality und Mind, Value, and Reality
(letztere wurde für
Suhrkamp zum Teil ins Deutsche übersetzt als Wert und Wirklichkeit).
Die Titel deuten den weiten Bogen an, den seine Arbeiten spannen:
von der Sprachphilosophie und
Erkenntnistheorie über die Philosophie
des Geistes und Metaphysik bis hin zur Ethik. McDowell
entwickelt
seine Gedanken meist in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen
Philosophen – oder Klassikern wie Aristoteles und Platon,
Wittgenstein und Kant, und (neuerdings)
auch Hegel. Das sollte jedoch
nicht über ihren sehr systematischen Charakter
hinwegtäuschen.
John McDowell
LAVAZZA : Spielt die zeitgenössische Philosophie
eine Rolle im
alltäglichen Leben? Was bedeutet es für
Sie, Philosoph zu sein?
MCDOWELL : Wenn ich ehrlich sein soll, meine Philosophie wirkt
sich nicht auf das
alltägliche Leben aus. Es handelt sich um
„akademische“ Philosophie. Sie bleibt im
Hörsaal,
und meine Bücher sind für Vollzeitdenker geschrieben.
Es ist eine
Tatsache, dass die Philosophie in der angelsächsischen
Welt außerhalb des Kreises der
Angehörigen der Disziplin
nicht viel gelesen wird. Das große Publikum ist nicht interessiert
an der Philosophie; es ist nicht interessiert, weil sie keinerlei
Unterschied für
diese Menschen macht. Es ist unerfreulich und
bedrückend, das zu sagen, aber ich meine, unsere
Philosophie
betrifft das alltägliche Leben nicht, sie ist „akademisch“
im schlechten Sinn. Im angelsächsischen Raum werden die Philosophen
in einer Weise ausgebildet, bei
der vor allem die Anerkennung der
Bezugsgruppe zählt. Ich würde gern Bestseller schreiben. Aber
ich muss eine andere
Art des Schreibens finden. Meine Kollegen so wie ich. In Italien
sind viele Philosophen sehr sichtbar, weil sie in Zeitungen schreiben,
die vom breiten gebildeten Publikum
gelesen werden – was in
der angelsächsischen Welt nicht vorkommt. In Italien sind die
Philosophen Meinungsführer, in der angelsächsischen Welt
dagegen sind sie zu sehr
abgeschlossen in Spezialismus oder Akademismus.
LAVAZZA : Man sagt, dass wir in einer Epoche des
Relativismus leben.
Ihre Philosophie beschäftigt sich damit, was und wie wir erkennen,
und mit den Gründen, die unsere Erkenntnisse rechtfertigen
können. Welches Schicksal haben
heute die Ideen der Wahrheit
und Objektivität?
MCDOWELL : Sicher, die
heutige Zeit kann als eine des Relativismus
verstanden werden. Es gibt philosophische Strömungen, die
die
Idee der Wahrheit und Objektivität bekämpfen. Ein Beispiel
sind die
Positionen von Richard Rorty. Er will uns überzeugen,
dass wir ohne Wahrheit und Objektivität
auskommen können.
Das ist ein Angriff, und das Schicksal dieser Begriffe hängt
vom Ergebnis eines solchen Angriffes ab. Wenn sich Rorty durchsetzt,
wird man nicht mehr von Wahrheit und
Objektivität sprechen.
Trotzdem glaube ich, dass das nicht geschehen und man fortfahren
wird, sich darauf zu beziehen. Das müssen wir auch, denn wir
haben keine alternativen Ideen; es ist
notwendig, sich auf ein Kriterium
verlassen zu können, mit dessen Hilfe man sagen kann, dass
wir auf der Seite der Vernunft sind, oder dass wir uns irren.
LAVAZZA : Sie schlagen einen
therapeutischen Ansatz für die
Philosophie vor. Aber wenn man alle Probleme zum Verschwinden bringt,
was bleibt dann? Der erwähnte Richard Rorty hat sein Philosophisches
Seminar
verlassen und ist an ein Institut für Literaturwissenschaft
gewechselt. Werden alle Philosophen dort
landen?
MCDOWELL : Nein, das glaube ich nicht. Mein Bezugspunkt für
Philosophie als therapeutisches Instrument ist Wittgenstein. Wir
müssen versuchen, sozusagen eine
zeitweilige Erleichterung
der Pathologien des Denkens zu geben, aber sie werden sich immer
zeigen, die philosophischen Probleme werden sich nicht erschöpfen,
und die Philosophie wird nicht an
ein Ende gelangen, wie Rorty behauptet.
Unsere Aufgabe wird immer die sein, uns mit neuen Probleme
auseinanderzusetzen.
Ich denke nicht, dass es so etwas wie eine definitive „Behandlung“
gibt.
LAVAZZA : Was ist die Beziehung zwischen der analytischen und der
kontinentalen Tradition? Irgendjemand hat behauptet, Sie seien sehr
nahe am „europäischen
Stil“ des Philosophierens.
Stimmen Sie dem zu?
MCDOWELL : Ich weiß,
dass man das sagt. Im allgemeinen gefällt
mir aber die Idee nicht, einer Haupt- oder
Nebenströmung anzugehören.
Dass ich mich zum Beispiel mit den Arbeiten von Jürgen Habermas
auseinandersetze zeigt, dass man Denker besser nicht in vorgefertigte
Schulen oder
Kategorien einteilt. Auf der anderen Seite nehme ich
an, dass ich die europäische Philosophie nicht
genügend
kenne, um ein fundiertes Urteil über das Verhältnis zwischen
ihr
und der anglo-amerikanischen abzugeben.
LAVAZZA : Einige Philosophen fragen sich, ob man
heutzutage, im
Zeitalter der Wissenschaft, überhaupt noch Metaphysik betreiben
kann.
Was denken Sie darüber?
MCDOWELL : Ich glaube an die Metaphysik, deshalb stellt sich die
Frage für mich auch nicht. Es gab eine Zeit, in der Metaphysik
ein negativer Begriff
geworden war. Das geschah auch in der Tradition,
in der ich ausgebildet wurde. Der logische Positivismus,
der für
die Entstehung der analytischen Philosophie sehr wichtig war, ist
gegenüber der Metaphysik sehr kritisch gewesen. Aber auch die
analytische Philosophie ist gereift. Die
Gegnerschaft diente dazu,
sich zu unterscheiden, sie gab eine Identität. Heute ist sie
überwunden, die Metaphysik ist lebendig. Man macht viel deskriptive
analytische Metaphysik: die von
Peter Strawson ist ein wichtiges
Beispiel.
LAVAZZA : Glaube und Vernunft: was
können sie uns heute sagen?
MCDOWELL : In ihren Anfängen hatte die analytische
Philosophie
viel Misstrauen, wenn nicht Aversionen, gegenüber der Religion.
Aber,
ich wiederhole das, es hat ein Reifungsprozess stattgefunden.
Auch der Glaube hat Fragen hervorgerufen, die
philosophisch angegangen
werden, und es gibt einen Zweig der analytischen Philosophie –
die Religionsphilosophie – die sich mit ihnen beschäftigt.
Sicher sind es wenige, die das in
den Vereinigten Staaten betrieben.
Und wenn es in Italien noch weniger sind, dann basiert das, glaube
ich, auf einer rein zufälligen Tatsache. Das beruht nicht auf
den Methoden der
Disziplin.
LAVAZZA : Ist es heute möglich, ein „einsamer“
Philosoph zu sein, ein „Liebhaberphilosoph“?
MCDOWELL : Es ist möglich, aber sehr
schwierig. Um den Institutionen,
den akademischen Strukturen anzugehören ist es nötig,
ein professioneller Philosoph zu sein. Außerdem ist da der
Aspekt der Kommunikation, des
Austausches von Meinungen. Und dann
muss man, wenn man nicht an der Universität lehrt, sein Geld
auf andere Art verdienen. Natürlich gibt es dort Auswüchse
des
„Professionalismus“. Am Philosophischen Institut
von Princeton, nach allgemeiner Auffassung das
beste der Vereinigten
Staaten, sagt man, dass nichts, was vor mehr als 15 Jahren geschrieben
wurde, es wert sei, gelesen zu werden. Man muss sicher die Beiträge
der anderen kennen, um
nützliche Dinge zu schreiben. Aber die
Philosophie wird in Begriffen der Tradition definiert, man muss
einen lebendigen Sinn dafür haben, dass man im Philosophieren
mit dem verwoben ist,
was die großen toten Persönlichkeiten
aufgezeigt haben. Es gibt viele, zu viele Publikationen.
Um zu schrieben
muss man viel lesen. Und ich habe wenige Bücher geschrieben...
Aus dem Italienischen von Christian Kietzmann und Diana Forcher, mit einer Einleitung von C.Kietzmann. Das
Gespräch führte Andrea Lavazza