logo logo

Erschienen in: Ausgabe #4 vom März 2005



Das Denken verschwindet nicht - Ein Gespräch mit John McDowell

John McDowell, geboren 1942, ist einer der einflussreichsten Denker in der gegenwärtigen analytischen Philosophie. Robert Brandom, sein Kollege in Pittsburgh, hat über ihn gesagt, er sei „arguably the deepest and most important philosopher of his generation“. Bevor er in die USA ging, war McDowell viele Jahre in Oxford tätig, wo er auch studiert hatte. Seine Schriften gelten allgemein als schwierig, vor allem sein 1994 erschienenes Buch Mind and World (als Geist und Welt bei Suhrkamp). Darüber hinaus hat er 1998 zwei Aufsatzsammlungen veröffentlicht: Meaning, Knowledge, and Reality und Mind, Value, and Reality (letztere wurde für Suhrkamp zum Teil ins Deutsche übersetzt als Wert und Wirklichkeit). Die Titel deuten den weiten Bogen an, den seine Arbeiten spannen: von der Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie über die Philosophie des Geistes und Metaphysik bis hin zur Ethik. McDowell entwickelt seine Gedanken meist in Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Philosophen – oder Klassikern wie Aristoteles und Platon, Wittgenstein und Kant, und (neuerdings) auch Hegel. Das sollte jedoch nicht über ihren sehr systematischen Charakter hinwegtäuschen.

John McDowell
John McDowell

LAVAZZA : Spielt die zeitgenössische Philosophie eine Rolle im alltäglichen Leben? Was bedeutet es für Sie, Philosoph zu sein?

MCDOWELL : Wenn ich ehrlich sein soll, meine Philosophie wirkt sich nicht auf das alltägliche Leben aus. Es handelt sich um „akademische“ Philosophie. Sie bleibt im Hörsaal, und meine Bücher sind für Vollzeitdenker geschrieben. Es ist eine Tatsache, dass die Philosophie in der angelsächsischen Welt außerhalb des Kreises der Angehörigen der Disziplin nicht viel gelesen wird. Das große Publikum ist nicht interessiert an der Philosophie; es ist nicht interessiert, weil sie keinerlei Unterschied für diese Menschen macht. Es ist unerfreulich und bedrückend, das zu sagen, aber ich meine, unsere Philosophie betrifft das alltägliche Leben nicht, sie ist „akademisch“ im schlechten Sinn. Im angelsächsischen Raum werden die Philosophen in einer Weise ausgebildet, bei der vor allem die Anerkennung der Bezugsgruppe zählt. Ich würde gern Bestseller schreiben. Aber ich muss eine andere Art des Schreibens finden. Meine Kollegen so wie ich. In Italien sind viele Philosophen sehr sichtbar, weil sie in Zeitungen schreiben, die vom breiten gebildeten Publikum gelesen werden – was in der angelsächsischen Welt nicht vorkommt. In Italien sind die Philosophen Meinungsführer, in der angelsächsischen Welt dagegen sind sie zu sehr abgeschlossen in Spezialismus oder Akademismus.

LAVAZZA : Man sagt, dass wir in einer Epoche des Relativismus leben. Ihre Philosophie beschäftigt sich damit, was und wie wir erkennen, und mit den Gründen, die unsere Erkenntnisse rechtfertigen können. Welches Schicksal haben heute die Ideen der Wahrheit und Objektivität?

MCDOWELL : Sicher, die heutige Zeit kann als eine des Relativismus verstanden werden. Es gibt philosophische Strömungen, die die Idee der Wahrheit und Objektivität bekämpfen. Ein Beispiel sind die Positionen von Richard Rorty. Er will uns überzeugen, dass wir ohne Wahrheit und Objektivität auskommen können. Das ist ein Angriff, und das Schicksal dieser Begriffe hängt vom Ergebnis eines solchen Angriffes ab. Wenn sich Rorty durchsetzt, wird man nicht mehr von Wahrheit und Objektivität sprechen. Trotzdem glaube ich, dass das nicht geschehen und man fortfahren wird, sich darauf zu beziehen. Das müssen wir auch, denn wir haben keine alternativen Ideen; es ist notwendig, sich auf ein Kriterium verlassen zu können, mit dessen Hilfe man sagen kann, dass wir auf der Seite der Vernunft sind, oder dass wir uns irren.

LAVAZZA : Sie schlagen einen therapeutischen Ansatz für die Philosophie vor. Aber wenn man alle Probleme zum Verschwinden bringt, was bleibt dann? Der erwähnte Richard Rorty hat sein Philosophisches Seminar verlassen und ist an ein Institut für Literaturwissenschaft gewechselt. Werden alle Philosophen dort landen?

MCDOWELL : Nein, das glaube ich nicht. Mein Bezugspunkt für Philosophie als therapeutisches Instrument ist Wittgenstein. Wir müssen versuchen, sozusagen eine zeitweilige Erleichterung der Pathologien des Denkens zu geben, aber sie werden sich immer zeigen, die philosophischen Probleme werden sich nicht erschöpfen, und die Philosophie wird nicht an ein Ende gelangen, wie Rorty behauptet. Unsere Aufgabe wird immer die sein, uns mit neuen Probleme auseinanderzusetzen. Ich denke nicht, dass es so etwas wie eine definitive „Behandlung“ gibt.

LAVAZZA : Was ist die Beziehung zwischen der analytischen und der kontinentalen Tradition? Irgendjemand hat behauptet, Sie seien sehr nahe am „europäischen Stil“ des Philosophierens. Stimmen Sie dem zu?

MCDOWELL : Ich weiß, dass man das sagt. Im allgemeinen gefällt mir aber die Idee nicht, einer Haupt- oder Nebenströmung anzugehören. Dass ich mich zum Beispiel mit den Arbeiten von Jürgen Habermas auseinandersetze zeigt, dass man Denker besser nicht in vorgefertigte Schulen oder Kategorien einteilt. Auf der anderen Seite nehme ich an, dass ich die europäische Philosophie nicht genügend kenne, um ein fundiertes Urteil über das Verhältnis zwischen ihr und der anglo-amerikanischen abzugeben.

LAVAZZA : Einige Philosophen fragen sich, ob man heutzutage, im Zeitalter der Wissenschaft, überhaupt noch Metaphysik betreiben kann. Was denken Sie darüber?

MCDOWELL : Ich glaube an die Metaphysik, deshalb stellt sich die Frage für mich auch nicht. Es gab eine Zeit, in der Metaphysik ein negativer Begriff geworden war. Das geschah auch in der Tradition, in der ich ausgebildet wurde. Der logische Positivismus, der für die Entstehung der analytischen Philosophie sehr wichtig war, ist gegenüber der Metaphysik sehr kritisch gewesen. Aber auch die analytische Philosophie ist gereift. Die Gegnerschaft diente dazu, sich zu unterscheiden, sie gab eine Identität. Heute ist sie überwunden, die Metaphysik ist lebendig. Man macht viel deskriptive analytische Metaphysik: die von Peter Strawson ist ein wichtiges Beispiel.

LAVAZZA : Glaube und Vernunft: was können sie uns heute sagen?

MCDOWELL : In ihren Anfängen hatte die analytische Philosophie viel Misstrauen, wenn nicht Aversionen, gegenüber der Religion. Aber, ich wiederhole das, es hat ein Reifungsprozess stattgefunden. Auch der Glaube hat Fragen hervorgerufen, die philosophisch angegangen werden, und es gibt einen Zweig der analytischen Philosophie – die Religionsphilosophie – die sich mit ihnen beschäftigt. Sicher sind es wenige, die das in den Vereinigten Staaten betrieben. Und wenn es in Italien noch weniger sind, dann basiert das, glaube ich, auf einer rein zufälligen Tatsache. Das beruht nicht auf den Methoden der Disziplin.

LAVAZZA : Ist es heute möglich, ein „einsamer“ Philosoph zu sein, ein „Liebhaberphilosoph“?

MCDOWELL : Es ist möglich, aber sehr schwierig. Um den Institutionen, den akademischen Strukturen anzugehören ist es nötig, ein professioneller Philosoph zu sein. Außerdem ist da der Aspekt der Kommunikation, des Austausches von Meinungen. Und dann muss man, wenn man nicht an der Universität lehrt, sein Geld auf andere Art verdienen. Natürlich gibt es dort Auswüchse des „Professionalismus“. Am Philosophischen Institut von Princeton, nach allgemeiner Auffassung das beste der Vereinigten Staaten, sagt man, dass nichts, was vor mehr als 15 Jahren geschrieben wurde, es wert sei, gelesen zu werden. Man muss sicher die Beiträge der anderen kennen, um nützliche Dinge zu schreiben. Aber die Philosophie wird in Begriffen der Tradition definiert, man muss einen lebendigen Sinn dafür haben, dass man im Philosophieren mit dem verwoben ist, was die großen toten Persönlichkeiten aufgezeigt haben. Es gibt viele, zu viele Publikationen. Um zu schrieben muss man viel lesen. Und ich habe wenige Bücher geschrieben...

Aus dem Italienischen von Christian Kietzmann und Diana Forcher, mit einer Einleitung von C.Kietzmann. Das Gespräch führte Andrea Lavazza