Das Philosophie-Studium, Freiburger Version
von Felisande und Timotheus Schneidegger; Redakteure der Freiburger Philo-Anarcho-Gazette "Lichtwolf -
Zeitschrift trotz Philosophie"
Von dem zu groß geratenen Dörflein im
Breisgau wird viel geschwärmt: Nördlichste Stadt Italiens,
die Sonnen-, Öko- und
Fahrradstadt. Freiburg ist ein überschaubares
Örtchen, das von der traditionsreichen Uni in ihrem
Herzen
genauso geprägt wird wie von der bezaubernden Altstadt mit
den Bächle,
die im Mittelalter Vieh tränkten und Abfälle
herausspülten, und von dem Münster, auf
dessen Vorplatz
die beste Bratwurst der Welt verkauft wird. Wer es heiß, stickig
und immer etwas ete-petete mag, kommt sommers in Freiburg voll auf
seine Kosten, allen anderen gehen das
subtropische Klima und der
erzbadische Hang zum Diminuitiv (zum “Diminuitivle”)
gehörig auf die Haarwurzeln, von den übrigen Abgründen
der hiesigen Mundart ganz zu
schweigen (auch wenn Sachsen so manchen
abgehärtet haben mag).
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Freiburg ist, wie wir auf dieser Postkarte sehen, recht beschaulich. Allerdings zweifelt die
EiGENSiNN-Redaktion stark daran, das vor dem Münster
die weltbeste Bratwurst verkauft
wird. |
Der romantische
Aberglaube, Freiburg sei eine der letzten Hochburgen
für Linke, Ökos und Punks, wird allerdings
enttäuscht:
Das müffelnde Völkchen, das sich mit einer Palette Maître
Philippe aus dem Pennymarkt und seinem Hundezoo am “Denkmal”
vor ausgerechnet dem BWLer- und
Juristenbunker der Uni aufhält,
hat mit Punk in etwa soviel zu tun wie Freiburgs Linke mit Politik
oder unsere Ökos mit Umweltschutz: Wer seinen Biomüll
in Plastiktüten in
die braune Tonne schmeißt, hat wohl
einmal zuviel gedünsteten Tofu inhaliert. Und ein
grüner
Bürgermeister kann genauso Zuwendungen streichen wie ein andersfarbiger.
Weil aber doch alles in Freiburg viel harmloser, niedlicher und
netter erscheint als anderswo, gehen die
paradiesischen Zustände
beidseits der Bächle manchmal grotesk in Richtung Disneyland,
z.B. als die NPD mit knapp 100 Mann auf 14.000 Gegendemonstranten
traf, die den Naziaufmarsch unter
einem Stadtfest begruben, oder
als der Polizeipräsident höchstpersönlich auf einer
Demo für den Erhalt der linken Schlangengrube KTS (Kulturtreff
in Selbstverwaltung) mit
Flugzetteln um einen friedlichen Ablauf
bat und dem Schwarzen Block vor Staunen die Fahne aus der Hand fiel
(daß die Polente mit der hiesigen Hausbesetzer- und Alternativenszene
auch ganz
“traditionell” umspringt, soll dabei nicht
verschwiegen werden).
Demonstriert wird trotzdem oft und gerne. Vor allem von den 20.000
Studierenden der
Freiburger Uni – nein, natürlich nicht
von allen 20.000! Aber doch ist mit einem guten Teil von
–
gemäß des letzten Spiegel-“Rankings” –
Deutschlands
zweitbesten Studenten viel mehr anzufangen, als Radfahren,
Backgammonspielen und ins Tanztheater gehen, um
mal durch die Hintertür
den Bezug zu Tocotronics Hymne herzustellen, die hier in jeder der
zahlreichen Studentendiskos mindestens einmal am Abend gegröhlt
wird. Die Freiburger Uni zieht
überdurchschnittlich viele Abituriennten
von jenseits der Region an, insbesondere der hohe Anteil von
ausländischen
Studierenden bringt die Atmosphäre eines internationalen Flughafens
von den Freiburger Straßen in die Unigebäude.
Geknechtet
werden sie wie Studierende in ganz Deutschland: Nicht
nur durch die Philosophie-typische Vereinsamung in
der totalen Freiheit,
totalen Verantwortung und totalen Aussichtslosigkeit, auch durch
die Hochschul-, d.h. Abrichtungs- und Sparpolitik der Landesregierung.
Als würde dies die Reife zum
mündigen Bürger nicht
schon genug erschweren (der entsprechende Absatz ist auch ersatzlos
aus dem neuen Landeshochschulgesetz gestrichen worden), sind die
ASten in BaWü und Bayern
als angebliche Brutzellen des Linksterrorismus
seit 1978 landesgesetzlich geknebelt und gefesselt: Sie
dürfen
sich lediglich zu sportlichen, musischen und sozialen Themen äußern.
Dank der personellen und finanziellen Unterversorgung funktionieren
Grundleistungen wie
Erstsemesterbetreuung und Protestaktionen meistens
nur mit Ach und Krach. Freiburg hat es dabei relativ
gesehen gut,
denn die Zahl der engagierten (d.h. selbstausbeutungswilligen) Studierenden
ist groß im Vergleich zu anderen süddeutschen Unis, an
denen dort Fatalismus herrscht, wo hier
mit viel underdog-Bewußtsein
das Beste aus der offiziellen Statistenrolle der Studierenden gemacht
wird. –
Die Freiburger ist keine Campus-Uni, doch
wie die Leipziger weitgehend
im Stadtkern konzentriert, der angehende Philosoph hat in seinem
akademischen Alltag also keine weiten Wege in Kauf zu nehmen. Die
meisten seiner Veranstaltungen finden
im innenstädtischen Kollegiengebäude
I (KG I) statt, seine Bücher sucht er in der dortigen
Seminarsbibliothek
oder auf der gegenüberliegenden Straßenseite in der Uni-Bibliothek.
Dieser Standortvorteil wird sich 2007 vorerst erledigt haben, wenn
im Zuge des großangelegten
Umbaus der gesamte Inhalt der UB
in die 15 Minuten entfernte Stadthalle verfrachtet wird. Über
die Austattung der Büchereien an Fachbüchern, Zeitschriften,
Kommunikations- und
Multimediakram ist dabei nicht zu klagen.
Der Haupteingang des KG I wird von Homer und Aristoteles
gesäumt
– das Idyll der vor ihnen in der Sonne verweilenden Jungakademiker
darf in keinem Beitrag über die Freiburger Uni fehlen; hier
jedoch wird sich auf das wesentliche
beschränkt (siehe Bild;
ohne Studierende). Zur Zeit wird an selbnämlicher Stelle fleißig
gebaut; der Abtransport der beiden Figuren weckte bei vielen zuerst
die Erinnerung an die
Bilder vom Abriß der Saddamstatuen in
Bagdad und dann die damit verbundene Befürchtung, das
Ausbildungsministerium
wolle nun ernstmachen mit seinem Elitisierungsprogramm, das von
Seiten der Studierenden gern mit “Macher und Lenker statt
Dichter und Denker” zusammengefasst
wird. Die beiden im Volksmund
“Max und Moritz” genannten Griechen sollen jedoch bald
wieder ihren angestammten werbeträchtigen Platz einnehmen.
Max und Moritz sind z.Z. im Urlaub
Die hoch über dem Portal prangende Inschrift “Dem ewigen
Deutschtum” wird seit 1945 im
Gegensatz zur Frontaufschrift
“Die Wahrheit wird euch frei machen” (Welche Wahrheit?
Welche Freiheit? Was hat das mit dem Zugang zum globalen Arbeitsmarkt
zu tun?) nicht mehr
nachvergoldet, sondern verschämt der Witterung
überlassen. Die Mauern des KG I, das dem
frühen Albert
Speer zur Ehre gereicht hätte, tragen noch heute die Einschußlöcher
aus den Tagen, da hier der Volkssturm tobte und Martin Heidegger
sein Werk aus der zerbombten
Stadt in sein Heimatdörflein Meßkirch
schaffte.
Vor etwa einem Jahr wurde dem
Innern ohne Rücksicht auf Verluste
des Geschmackssinns ein Stück Altehrwürdigkeit
zurückgegeben,
bspw. durch viel Rot und teures Holz in der Aula oder durch popelgrüne
Dachpappen an den Flurwänden in Anlehnung an griechische Mauerreliefs.
Die Hörsäle
indes fallen weiterhin der Sitzreihe nach
auseinander.
Als Wirkungsstätte des in jeder Hinsicht letzten großen
deutschen Philosophen, Martin
Heidegger, tut sich die Freiburger
Philosophie nicht schwer mit der Wahl ihres Dreh- und Angelpunkts.
Um ihn führt kein Weg herum, sein Name fällt in jeder
Veranstaltung mindestens
einmal, besonders wenn man sich vollkommen
sicher vor ihm wähnt. Wer den “Jargon” (Adorno)
erst einmal erlernt hat, will ihn schließlich auch anwenden
wann und wo immer es
möglich ist. Obwohl sich inzwischen immer
mehr Dozenten trauen, auch mal kritische Worte zu verlieren
und
den “faulig ramschigen Tautologientiefsinn” (Eckhard
Henscheid) zumindest
in den von Gadamer oder Derrida geleisteten
Updates weitertragen, ist Freiburg kein Ort für
Studierende,
die sich partout nicht mit Heidegger arrangieren können.
Gelehrt wird in Freiburg von zwei Lehrstühlen, zwei Professuren
und einer in
unserem Fach üblichen Unmenge von Privatdozenten.
Relativ frei von Heideggerianismen ist der Lehrstuhl
II, der jedoch
zum Teil von der katholischen Kirche gesponsert wird und daher nur
Theolosophen hält. Seit diesem Semester lehrt von dort aus
Maarten J.F.M. Hoenen (sprich:
“Huhnen”), der den nicht
nur in Freiburg verbreiteten epigonenhaften Personenkult gerne mal
aufs Korn nimmt und die Philosophie – trotz oder wegen seines
Schwerpunkts Antike,
Scholastik, Mittelalter – eher historisch
anpackt. Er und sein Troß bringen damit etwas
Abwechslung
ins Vorlesungsverzeichnis.
Gerne wird kolportiert, in früheren Zeiten
haben die Inhaber
der beiden Lehrstühle lediglich per Hauspost miteinander kommuniziert.
Auf dem Lehrstuhl I des Todtnaubergers sitzt heute Günter Figal,
der die griechische Antike liebt
und Hermeneutik lehrt, was so viel
ist wie sich Notizen zu machen und sie zwei Stunden später
nicht mehr entziffern zu können. Eine wesentlich von Heideggers
Lehrer Edmund Husserl
ausgehende Lehre betreibt Hans-Helmuth Gander,
der die mit der Leitung des Husserl-Archivs verbundene
Professur
innehat. Seine Phänomenologie hat zwar einen deutlichen hermeneutischen
Drall Richtung Todtnauberg, jedoch bleibt Gander von allen Lehrenden
am wenigsten seinen Leisten treu und
scheut sich nicht, in bislang
unbekannte Themenbereiche vorzustoßen.
Die
Ethikprofessur wird von der Lore Hühn ausgefüllt,
deren Leib- und Magenthema der deutsche
Idealismus ist, darin vor
allem der in seinem 150. Todesjahr angeblich sträflich vernachlässigte
Schelling.
Besonders erwähnenswert, neben den außerordentlichen
Professoren Regine Kather und Wilhelm Metz, sind Freiburger Urgesteine
wie Ute Guzzoni und
Friedrich-Wilhelm von Herrmann, die noch von
Heidegger höchstpersönlich in die Philosophie
geführt
wurden und entsprechend – auch lange nach ihrer Emeritierung
–
hochkarätige Veranstaltungen halten.
Namen, die im Freiburger
Philosophiestudium rein statistisch am
häufigsten fallen, sind neben den Hausgöttern Heidegger
und Husserl die folgenden: Heraklit, Platon, Aristoteles, Kant,
Schelling, Hegel,
Nietzsche, Carl Schmitt, Adorno, Gadamer. In letzter
Zeit liegt Interdisziplinarität (oder Verwischung
von Fachbereichsgrenzen)
immer stärker im Trend, was den Philosophie-Adepten mit Namen
wie Ernst Jünger, Peter Handke und Helmut Berger konfrontiert
sowie mit eigentlich jedem Fach
ausgenommen Petrochemie, vorrangig
aber mit den anderen sog. Kulturwissenschaften. Der Stallgeruch
Freiburgs ist unverwechselbar. Während andere noch nach einem
hippen Anglizismus für
“Profilierung” suchen, der
nicht homonym mit einem Fachbegriff der Kriminalistik ist, hat die
Freiburger Philosophie mit ihrem Schwerpunkt “Hermeneutik
und
Phänomenologie” längst Tatsachen geschaffen.
Methoden und Inhalte der ansonsten weit
verbreiteten Analytischen
Philosophie sucht man hier inzwischen vergebens. Symptomatisch dafür
ist, daß es seit zwei Jahren unter den Lehrenden niemanden
mehr gibt, der sich zutraut,
Logik zu unterrichten, weswegen in
jedem Wintersemester ein Dozent des “Instituts für
mathematische
Logik” kommen muß. Leipzig, du hast es besser!
Doch nach wie vor gehört der Logikschein auch hier zu den
Obligationen des
Grundstudiums. Neben der kleinen Quantorenkunde
gilt es auch noch, einen zweisemestrigen (!)
Interpretationskurs
abzuleisten, eine Veranstaltungsart, die von Oberhermeneut Figal
eingeführt wurde und das einjährige Studium eines philosophischen
Klassikers bedeutet.
Kenntnis mindestens einer alten Sprache ist formal erforderlich,
spätestens im Hauptstudium aber
sollten aus rein pragmatischen
Gründen sowohl in Altgriechisch als auch Latein Grundkenntnisse
vorhanden sein, weil an Begriffen wie aletheia, technae, thaumazein,
essentia, adaequatio
usw.usf. in den Veranstaltungen nicht gespart
wird. Die Sprachprüfungen des Oberschulamts (für
Lehramtstudenten)
sind gnadenlos, die universitären (für alle anderen Abschlüsse)
dagegen ein Witz. Nach der Zwischenprüfung, die im Hauptfach
eine vierstündige Klausur
(vergleichbar dem schriftlichen Abi)
und dreißigminütige mündliche Prüfung bedeutet,
und drei besuchten Hauptseminaren, deren Anspruch nicht wesentlich
höher ist als der
der Proseminare, folgen Magisterarbeit oder
Staatsexamen. BA/MA-Studiengänge sind noch nicht
eingeführt,
werden aber bald folgen. Es ist zu befürchten, daß es
dann
zunächst einmal für einige Semester kräftig
im Gebälk des hiesigen Seminars ächzen
und krachen wird,
sind die Veranstaltungen doch bereits jetzt jenseits der Schmerzgrenze
überfüllt. Die Geschäftsleitung versucht der akademischen
Überbevölkerung seit
diesem Semester mit Numerus Clausus,
Zulassungstests und Anmeldelisten Herr zu werden.
Das Freiburger Philosophiestudium ist, zusammengefasst, nicht
schlimmer
und nicht besser als andernorts. Es hat, ganz wie die
Stadt und die Uni, seine Härten und seine
lichten Momente.
In Zeiten zunehmender Abrichtung auf die ominösen Bedürfnisse
einer noch ominöseren Wirtschaft und der Amerikanisierung von
Lehrbetrieb und –inhalt ist es
aber vor allem eins, nämlich
anders. Freiburgs stures Festhalten an der Kontinentalphilosophie
macht es zu einem kleinen Reservat in der postmetaphysischen Landschaft.
Das gilt es zu bedenken,
im Guten wie im Schlechten.
Als erste Anlaufstelle für näher Interessierte sei die
Fachschaft Philosophie mit ihrer Homepage www.philo-freiburg.de
und ihrer Erstsemesterbroschüre
“Lichtung” empfohlen.
In der kommenden Ausgabe 1/2005 der Zeitschrift “Information
Philosophie” wird es voraussichtlich einen ausführlichen
Beitrag zur Neuausrichtung
der Freiburger Philosophie geben, die
natürlich auch, aber nicht nur in jeder Ausgabe der
vierteljährlich
erscheinenden Untergrundzeitschrift Lichtwolf (www.lichtwolf.de)
abgehandelt wird.